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"Hier hatte ich alles, was ich zum Glücklichsein brauchte"

Die Partie gegen den FC Erzgebirge Aue ist gleichzeitig das letzte Pflichtspiel für Fabian Boll als Profi. Klar, dass Boller uns vor seinem finalen Auftritt noch einmal Rede und Antwort stehen musste. Dabei äußerte er sich ausführlich zu den Derbys gegen den HSV und Rostock, aber auch zu den Trainern, die er am Millerntor erlebt hat, sowie zu seinen Plänen der kommenden Wochen und Monate.

Zwölf Jahre Fabian Boll als Profi beim FC St. Pauli gehen am Sonntag zu Ende. Wie schnell sind die Jahre für Dich eigentlich vorbeigegangen?
Rasend schnell. Dank der heutigen Medien kann man sich die ganzen Spiele von früher ja auch immer wieder mal anschauen. Als ich mir vor kurzem anlässlich des Jahrestages des Auswärtsspiels bei Bremen II, wo uns an einem Dienstagabend 8.500 Fans unterstützt haben – da fällt mir ein: DANKE nochmal dafür!!! – das Video angeschaut habe, dachte ich nur: Das liegt jetzt ja auch schon sieben Jahre zurück! Und da wird dir dann bewusst: Erstens: Man warste mal jung und dynamisch (lacht) und zweitens: Es ist schon krass, wie schnell die Zeit vergangen ist. Auch die heute endende Saison ist gefühlt wie im Flug vorbeigegangen.

Hattest Du jemals gedacht, so lange beim FC St. Pauli zu spielen? Oder gab es mal einen Moment, in dem Du ein Ende als möglich erachtet hast?
Gehofft hatte ich es schon. Erwartet aber nicht, als ich damals zu den Amateuren gewechselt bin. Da dachte ich ehrlich gesagt, dass ich mich ganz schön strecken muss, um hier überhaupt ein paar Spiele zu machen. Und dann war die Anfangszeit im Profikader ja auch nicht gerade leicht für mich. Damals habe ich teilweise sogar gezweifelt, ob der Profi-Fußball wirklich das richtige für mich ist. Es war eine neue Erfahrung, erstmals gar nicht mehr berücksichtigt, bzw. fast schon aussortiert zu werden. Und wenn dir dann noch im Winter gesagt wird: Du brauchst nicht mit ins Trainingslager und darfst dich gerne auch nach nem anderen Verein umgucken. Dann verlierst du relativ schnell die Romantik, die du als Fan jahrelang dem Verein gegenüber gefühlt hast. Damit musste ich erst einmal klarkommen.

Und trotzdem hast Du Dich durchgebissen. Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes Spiel und Dein erstes Tor?
Ich erinnere mich an ganz viele Momente. Ich bin quasi die wandelnde ran-Datenbank des FC St. Pauli (lacht). Das erste Spiel war aber gar nicht so dolle, weil bei 40 Grad im Schatten gegen den Wuppertaler SV beim Stand von 0:2 reinzukommen, war jetzt nicht gerade der Bringer. Aber natürlich erinnere ich mich auch gerne an die ersten Startelfeinsätze gegen den HSV II und im Pokal gegen Bielefeld, als wir u.a. Matze Hain im Elfmeterschießen ausgeschaltet haben. Das waren nebenbei auch die ersten Saisonsiege damals. Zufall? (lacht) Ganz besonders denkt man aber auch natürlich an das erste Tor zurück, weil das nach meiner „Degradierung“ zu den Amateuren gleichzeitig auch der gefühlte Neuanfang war. Die Profis hatten elf Spiele in Folge nicht gewonnen und nach der letzten Niederlage in Essen wurde Franz Gerber beurlaubt. Andreas Bergmann übernahm, holte unter anderem auch mich von der U23 hoch. Dann in diesem Spiel gleich noch den Siegtreffer zum 1:0 zu machen, war natürlich ein großer Moment. Ein großartiges Tor übrigens! Philip Albrecht und ich haben einen Doppelpass über gefühlte 50 Meter gespielt und am Ende konnte ich den Ball per Kopf am leicht verwirrt im Strafraum umherirrenden Chemnitzer Keeper vorbei über die Linie drücken.

Welches Tor hatte für Dich die größte Bedeutung, bzw. welcher Treffer ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Der Treffer im Derby-Heimspiel wird mir natürlich (!!!) immer im Kopf bleiben. Das Tor an sich war ja nicht unbedingt das Schönste meiner Zeit. Obwohl... Irgendwo habe ich das doch ganz gut gemacht. Einfach mal durch eine suboptimale Ballannahme direkt drei Gegenspieler inklusive Torwart getäuscht (lacht). Nein, im Ernst: Ich habe das Millerntor zuvor und danach nie wieder so laut erlebt. Das war einfach unglaublich, das Stadion hat förmlich gebebt! Wo wir auch wieder zurück im Medien-Zeitalter sind. Wenn ich heute noch allein an den Kommentar von Wolf & Co. im AFM-Radio denke, bekomme ich Gänsehaut.

Wann war in all den Jahren der Druck mal unerträglich groß?
Auf jeden Fall vor den Stadtderbys. Aber auch Spiele gegen Hansa Rostock liefen schon nah an der psychologischen Belastungsgrenze ab. Man weiß halt, was es für die Fans und den Verein bedeutet, solche Spiele zu gewinnen. Und deswegen setzt man sich auch selbst gerne mal unter Druck. Wobei letztlich auch die Begleitumstände eine Rolle spielten.

Inwiefern?
Wenn du nach Rostock fährst und du auf dem Weg vom Hotel zum Bus von ein paar auffällig unauffällig gekleideten Personen regelrecht „aufgelauert“ wirst. Wenn du zum Stadion mit Polizeieskorte gefahren wirst, wenn du mitbekommst, dass dem Busfahrer gesagt wird, dass er über rote Ampeln fahren und die Geschwindigkeit möglichst hoch halten soll, um kein „stehendes Ziel“ zu bilden, dann wird dir relativ schnell bewusst, dass das keine normalen Fußballspiele sind. Aber letztlich sind diese Spiele ja dann doch ganz gut ausgegangen (lacht). Es war das größtmögliche der Gefühle, den HSV mit 1:0 in deren Stadion zu schlagen. Und ich muss gestehen, dass ich selten so nervös vor einem Spiel war wie vor diesem. Das Hinspiel ging nämlich eigentlich noch, weil ich da durch meinen Umzug sehr gut abgelenkt war. Den Tag zuvor, hab ich nämlich noch ca. 30 Umzugskartons in den 3. Stock gehievt. Perfekte Spielvorbereitung... Jetzt kann ich es ja erzählen (lacht). Aber die Tage vor dem 16.2.2011 waren furchtbar. Noch nie war ich so hibbelig vor einem Spiel. Ich saß, glaube ich, schon Tage vor dem Spiel mit 180 Puls auf der Couch. Das war fast schon ungesund. Nachdem das Spiel dann zunächst abgesagt worden war, ist die komplette Anspannung abgefallen und ich habe mir erst einmal zwei Tüten Chips als Nervennahrung reingehauen (lacht). Anschließend musste man den Schalter wieder komplett hochfahren. Die ganze Stadt war in Aufruhr und die Spannung stieg von Tag zu Tag. Mir war klar, wie viel dieses Spiel unseren Fans bedeutet und was wir mit einem Sieg auslösen könnten.

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