"Ich war da wirklich zwischen zwei Welten"
Montag, 20. August 2018, 14:15 Uhr
Robin Himmelmann, Keeper der Kiezkicker, traf sich kürzlich mit Mansur Faqiryar, einem ehemaligen afghanischen Nationaltorwart, der als Kind aus seiner Heimat nach Deutschland geflohen war. Heraus kam dabei ein offenes Gespräch über den Beruf Profi-Fußballer und eine Sportart zwischen zwei Welten.
Mansur Faqiryar kam als Einjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland. Hier wuchs er auf, ging zur Schule und spielte vor allem Fußball. Als Torwart schaffte er es bis in die Regionalliga Nord und über diesen Weg auch zur afghanischen Nationalmannschaft. Mit der Auswahl Afghanistans gewann er 2013 als Stammtorhüter sensationell die Südostasienmeisterschaft und wurde für seine starken Paraden in seiner Heimat gefeiert. Heute hat Mansur einen Master-Abschluss in Wirtschaftsingenieurwesen gemacht, eine Stiftung zur Unterstützung für Geflüchtete in Deutschland gegründet und ein Buch geschrieben. Unser Torwart Robin Himmelmann hat sein Buch gelesen und traf ihn zum Gespräch.
Robin Himmelmann: Moin Mansur! Ich finde Biographien grundsätzlich spannend und habe auch dein Buch sehr gerne gelesen. An Deiner Geschichte ist ja das Besondere, dass Du zwischen Deutschland und Deiner Heimat Afghanistan häufig hin- und herreist. Was bedeutet der Begriff Heimat, der sich ja auch im Titel Deines Buches „Heimat Fußball“ wiederfindet, für Dich?
Mansur Faqiryar: Moin Robin! Wir haben uns über den Buchtitel lange Gedanken gemacht. Dadurch, dass mich der Fußball mein ganzes Leben begleitet hat, mir auch in schwierigen Situationen Halt gegeben hat und mich letztendlich auch in meine Heimat Afghanistan geführt hat, hatte ich das Gefühl, dass der Titel perfekt passt. Die sozialen Werte und der Teamgeist, der durch den Fußball übertragen wird, bedeuten mir sehr viel.
Robin: Was hat der Verlauf der Südasienmeisterschaft mit diesem sensationellen Titelgewinn für Dich und Deine Karriere bedeutet?
Mansur: Total viel. Schon als es mit der Nationalmannschaft losging, habe ich mir Ziele gesetzt. Zum Beispiel habe ich mir gewünscht, einmal ein Heimspiel zu haben, was ja in Afghanistan aus politischen Gründen eher schwierig ist. Auch von einem Spiel in der WM-Qualifikation oder von einem Titel habe ich vorsichtig geträumt. Am Ende hat es alles geklappt. Wenn der Körper gesundheitlich mitmacht, kann es im Fußball ganz schnell gehen.
Robin: Das ist manchmal wirklich Hopp oder Top, das habe ich damals selbst erlebt. Ich wurde als Ersatztorwart eingewechselt und sollte im nächsten Spiel von Anfang an spielen. Dann habe ich mich in der Woche drauf verletzt, musste operiert werden und war vier bis sechs Monate raus. Da hat sich innerhalb von einer Woche alles komplett gedreht.
Mansur: Genau das meine ich. Man muss als Fußballer mit so vielen verschiedenen Situationen umgehen. Im Nachgang haben mir viele Ärzte gesagt, dass ich froh sein kann, dass ich mit meinen kaputten Hüften überhaupt so lange Fußball spielen konnte. Gesundheit ist am Ende das Wichtigste, da nützt Dir kein Geld der Welt etwas. Brutal ist es, dass Du selber nicht langfristig planen kannst. Um damit umzugehen, brauchst Du ein richtig starkes Umfeld. Wie war das bei Dir?
Robin: In der Regel macht ja keiner seinen späteren Beruf schon als Kind, wenn es nicht Sport ist. Für mich gab es zu Beginn meiner Karriere keinen richtigen Notfallplan. Ich habe dann aber BWL und Wirtschaftspsychologie an der Fernuni studiert. Das war mein Plan. Falls es mit dem Fußball nichts wird, hätte ich mich immer noch über das Studium auf einen Beruf bewerben können. Ich habe das Studium abgeschlossen, ohne dass ich es aktuell brauche, kann aber nach der Karriere darauf aufbauen. Das war mir als Grundlage wichtig.
Mansur: Genau, heutzutage ist es ja vor allem wichtig, etwas in der Hand zu haben. Was setzt Du Dir ansonsten für persönliche Ziele?
Robin: Wenn ich jetzt sage, ich will dauerhaft im Mittelfeld der zweiten Liga bleiben, fehlt glaube ich langfristig der Ansporn. Ich muss mir aber andererseits auch nicht das konkrete Ziel Bundesliga stecken, um glücklich zu sein. Ich möchte mich einfach stetig weiterentwickeln.
Mansur: Du hast ja bereits in der Regionalliga und der Zweiten Bundesliga Erfahrungen sammeln können. Wo liegt Deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen der Regionalliga und dem Profi-Fußball?
Robin: Ich glaube, je höher Du Fußball spielst, desto mehr Konstanz brauchst Du. Wenn Du in der Regionalliga spielst ist die Aufmerksamkeit und der öffentliche Druck ein ganz anderer als in der zweiten Bundesliga. Außerdem musst Du bereit sein, privat mehr Abstriche zu machen, weil das ganze Drumherum nochmal mehr ist.
Je höher Du Fußball spielst, desto mehr Konstanz brauchst Du.
Mansur: Hast Du Methoden, um mit Druck umzugehen?
Robin: Ich persönlich würde sagen, dass ich mit jedem Jahr ein wenig entspannter an die Sache rangehe. Klar hängt viel an unseren Ergebnissen, aber am Ende ist Fußball nur ein Spiel. Es ist trotzdem immer sensationell, was bei uns los ist, wenn Du Spiele gewinnst. Kürzlich in Magdeburg beispielsweise, da herrschte bei der Fahrt zurück gleich eine ganz andere Atmosphäre im Bus. Der ganze Spirit gibt Dir einfach nochmal mehr. Unter der Woche versuche ich, mich mit Dingen stark zu machen, die mir in den letzten Jahren immer Vertrauen gebracht haben. Ich versuche, mich von Ergebnissen frei zu machen.
Mansur: Ich glaube, dass das ganz entscheidend ist, um am Ende erfolgreich zu sein. Wenn es drauf ankommt, musst Du eben da sein. Was war denn Dein bisheriges Highlight der Karriere?
Robin: Das ist schwer zu sagen. Abgesehen von diversen Erfolgen in der Halle, die auch total Spaß gemacht haben, konnte ich in meiner Karriere bislang noch keinen richtigen Titel holen. Es waren bei mir mehr die kleinen Erfolge, wie zum Beispiel in der vergangenen Saison die beiden Siege am Ende gegen Fürth und Bielefeld. Danach ist so viel von uns abgefallen. In den letzten Jahren ging es ja meist eher darum, den Klassenerhalt zu sichern. Persönlich bin ich trotzdem sehr zufrieden. Als ich 2012 am Millerntor zunächst einen Einjahresvertrag unterschrieben habe, hätte ich nie gedacht, dass ich sechs Jahre später hier sitze und gerade mein 108. Zweitligaspiel bestritten habe. Ich freue mich, dass Ich so lange gesund geblieben bin und wir nun gut gestartet sind. Wie war das denn bei Dir? War, als ihr die Südasienmeisterschaft gewonnen habt, in Afghanistan nicht der Teufel los?
Mansur: Das war der Wahnsinn. Ich war da wirklich zwischen zwei Welten. In Deutschland hatte ich meine Ruhe, da hat sich also Regionalliga-Torwart keiner für mich interessiert. In Afghanistan war das ganz anders. Die Jahre zuvor wusste dort zwar kaum jemand, dass wir überhaupt eine Nationalmannschaft haben, aber das hat sich dann schnell geändert. Kurz vor der Südasienmeisterschaft fand in Kabul gegen Pakistan unser erstes Heimspiel seit 30 Jahren statt. Die Fans haben eine unglaubliche Stimmung gemacht, wir haben 3:0 gewonnen und auf einmal hat man gemerkt, dass Fußball dort einen hohen Stellenwert hat.
Robin: Woran habt Ihr das gemerkt?
Mansur: Nach dem Halbfinale rief der Staatspräsident bei unserem Trainer an und hat ihn beglückwünscht. Das Finalspiel haben 10 Millionen Menschen gesehen, bei 30 Millionen Einwohnern in Afghanistan – unglaublich. Als wir nach dem Titel in Kabul ankamen und von 100.000 Menschen empfangen wurden, haben wir erst realisiert, was dieser Erfolg bedeutet. Die Leute dort können nie feiern, dürfen nie feiern und haben auch selten Grund zu feiern. Zu einer Zeit, in der das ganze Land in Unruhe war, kam dieser Titel.
Robin: War der Erfolg für den Fußball in Afghanistan denn nachhaltig? Ist dadurch dort etwas entstanden
Mansur: Absolut. Wenn Du auf dem Verbandsgelände ankommst, denkt man gar nicht mehr, dass man in Kabul ist. Wir haben viele Kunstrasenplätze und eine Sporthalle gebaut. Ich bin dem Verband gegenüber zwar sehr misstrauisch, weil es dort immer noch sehr korrupt zugeht, aber trotzdem ist dort etwas entstanden. Nach unserem Titel wurde die Regierung auf den Fußball aufmerksam, dadurch kamen Sponsoren und Geld in den Fußball. Wir haben inzwischen eine Frauen-Nationalmannschaft, sogar im Nachwuchs Frauen-Mannschaften, das glaubt uns keiner. In Afghanistan ist Sport für Frauen sehr gefährlich, das ist für einige konservative Menschen sehr unreligiös. Der Verband leistet da aber tolle Aufklärungsarbeit. Das sind riesige Schritte, verglichen zu dem, was vor ein paar Jahren dort los war.
(jh)
Fotos: FC St. Pauli