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„Es geht um das Mindset“- Anika von Joblinge über Rassismus bei der Jobsuche

Anika Holtz arbeitet mit Joblinge daran, Jugendliche mit Startschwierigkeiten in der Jobwelt zu unterstützen. Im Rahmen des Spieltags, der unter dem Motto „Kein Platz für Rassismus gegen Jugendliche bei der Jobsuche“ steht, sprachen wir mit ihr über die Probleme von Jugendlichen bei der Jobsuche, die Fehler, die Arbeitgeber*innen machen und was das bei Jugendlichen auslöst.

Rassismus gegen Jugendliche bei der Jobsuche. Was heißt das?

Rassismus bei der Jobsuche kann sich vielfältig äußern. Es kann bedeuten, dass Jugendliche bereits vor der Bewerbung beim Blick auf die Website eines Unternehmens das Gefühl bekommen, dass sie sich nicht bewerben brauchen. Das Erscheinungsbild der Unternehmen spielt hier eine große Rolle. Beispielsweise Arztpraxen, die ihre Teams auf den Homepages abbilden, sind oft nicht divers, was dazu führt, dass es Jugendliche oftmals nicht versuchen. Auf der anderen Seite schwingt bei Absagen das Thema Rassismus mit. Jugendliche fragen sich, ob die Absage damit in Zusammenhang steht, ob sie ein Kopftuch tragen, nicht weiß sind oder keinen deutschen Namen haben.

Gegen wen konkret richtet sich Rassismus bei der Jobsuche?

Das ist sehr vielfältig. Man kann aber sagen, dass es in vielen Fällen um Frauen mit Kopftuch geht. Sie sind stark davon betroffen. Das sagt keiner offen, wir können das jedoch zwischen den Zeilen in den Absagen heraushören. Darüber hinaus ist es meiner Erfahrung nach so, dass je dunkler die Hautfarbe eines Menschen wird, desto wahrscheinlicher ist die Absage. Ein Arzt hat mal gesagt, dass seine Patienten und Patientinnen nicht bereit für ein Kopftuch seien. Das könne man ihnen nicht zumuten, da sie alle eine Vorstellung davon haben, wie eine medizinische Fachangestellte auszusehen habe. Und die trägt in ihrer Vorstellung kein Kopftuch. So wird die Begründung ausgelagert. Oft ist es aber so, dass man die Gründe gar nicht wirklich erfährt. Wenn wir nach einem Praktikum mit dem Unternehmen sprechen, hört man, dass die Jugendliche gut gearbeitet hätte, wenn sie das Kopftuch abnehmen würden, würde man sie ja nehmen. Das wollte sie ja nicht. Solche Aussagen hören wir immer wieder.

Was sind typische ablehnende Antworten oder Erfahrungen im Bewerbungsprozess?

Oft kann man es gar nicht so verifizieren. Firmen antworten oft so vage, dass man den dahintersteckenden Rassismus nicht erkennen kann. Man sieht es in der Regel im Vergleich. Wenn sich eine Gruppe Jugendlicher mit gleichen Qualifikationen, aber unterschiedlicher Herkunft bewirbt, werden manche Bewerber*innen häufiger eingeladen und die anderen beiden eben nicht. Da kann man dann schon Vergleiche ziehen.

Wenn man auf den Fachkräftemangel und auch die demografische Entwicklung schaut. Was braucht es denn noch an äußeren Faktoren, dass Unternehmen diese Form der Auslese hinter sich lassen?

Es ist keine Frage, die sich leicht beantworten lässt, weil sie die ganze Gesellschaft betrifft. Deswegen sind Aktionen wie „Kein Platz für Rassismus“ so wichtig, weil es eine große Öffentlichkeit und den Diskurs braucht, um eine Veränderung herbeizuführen. Wir merken im Austausch mit Unternehmen, dass wenn sie einen geflüchteten Menschen bei sich hatten und gute Erfahrungen mit ihm machen, dann tragen sie diese Erfahrungen auch weiter. Und dazu versuchen wir eben auch ganz konkret beizutragen, indem wir diese jungen Menschen, mit denen wir hier arbeiten, einfach gut auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und sie genau wissen, was da auf sie in einer Firma zukommt.

Was macht das mit Jugendlichen emotional, wenn sie immer wieder Absagen ohne nachvollziehbare Gründe erhalten und realisieren, dass sie schlechtere Chancen als deutsche Jugendliche haben?

Es ist für sie frustrierend, wenn sie merken, sie erhalten Absagen aufgrund einer Tatsache, die sie nicht beeinflussen können, wie zum Beispiel Hautfarbe, Name oder Kopftuch. Und wir sprechen ganz offen darüber und raten den Jugendlichen, sich davon nicht weiter beeinträchtigen zu lassen und weiter zu machen, sich weiter zu bewerben, weil sie irgendwann sicherlich auf ein Unternehmen treffen werden, was darauf keinen Wert legt.

Anika und ihre Kolleg*innen arbeiten mit den Jugendlichen zusammen, um sie optimal auf die Jobwelt vorzubereiten.

Anika und ihre Kolleg*innen arbeiten mit den Jugendlichen zusammen, um sie optimal auf die Jobwelt vorzubereiten.

Schafft man es, junge Menschen immer wieder zu motivieren?

Ja, bei uns im Programm haben wir eine starke Bindung zu den Jugendlichen. Es gibt aber schon Fälle, wo Jugendliche klar machen, dass sie eine Pause brauchen, und die sollen sie sich dann natürlich auch nehmen. Am Ende ist es von Person zu Person unterschiedlich. Wir versuchen den Jugendlichen aber auch mitzugeben, wenn dich ein Unternehmen aufgrund deines Namens, deiner Hautfarbe oder deiner Herkunft nicht nimmt, dann ist das nicht der richtige Betrieb für dich. Wir wollen den Leuten klar machen, dass sie einen Selbstwert haben, stärken sie und animieren sie weiterzumachen. Dazu muss man dann viele Einzelgespräche führen. Es gibt aber auch die sehr schönen Geschichten. Eine junge Dame, die eben auch das Kopftuch getragen hat, eine Afghanin. Sie hat sich bei vielen Ärzten beworben, hat immer wieder Absagen erhalten, obwohl eigentlich alles hatte. Sie hatte den Schulabschluss, den es brauchte. Sie sprach schon sehr gutes Deutsch, war schon wirklich auf einem recht hohen Niveau und sie hatte auch ein sehr freundliches Erscheinungsbild. Es war eigentlich genau das, was man für eine medizinische Fachangestellte benötigt und sie hat wirklich monatelang nach einer entsprechenden Stelle gesucht. Wir haben sie noch weit über das Programm hinaus betreut. Sie ist immer wieder in die Arztpraxen gegangen, hat immer wieder ihre Bewerbungen persönlich eingereicht und irgendwann hat es dann funktioniert. Und genau diese junge Frau hat uns dann vor zwei Jahren gegen Corona geimpft. Das war großartig. Am Ende hat es nur geklappt, weil sie so ein starkes Mindset hatte. Weil sie gesagt hat: „Ich mach das“. Und sie hatte uns an ihrer Seite. Wir haben sie weiterhin betreut und haben ihr die Unterstützung gegeben.

Was macht Ihr bei Joblinge, um die Jugendlichen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten?

Das klingt immer sehr pathetisch, aber ich bin fest davon überzeugt: Wenn die Jugendlichen zu uns kommen, stellen wir ihr ganzes Leben auf den Kopf. Das Leben verändert sich. Uns ist eine Kommunikation auf Augenhöhe sehr wichtig, gleichzeitig haben wir die Business-Brille auf. Entsprechend legen wir sehr viel Wert auf Pünktlichkeit. Uns geht es darum, die Jugendlichen realistisch auf das vorzubereiten, was in der Arbeitswelt auf sie zukommt. Dazu gehört auch Pünktlichkeit. Wenn ich im Job oder Praktikum zwei bis drei Mal zu spät komme, bin ich meine Stelle schnell wieder los. Entsprechend gehört das auch bei uns zu den festen Regeln. Bei uns im Programm erhalten die Jugendlichen eine breit aufgestellte Berufsorientierung. Wir bauen an bestimmten Stellen Hürden ein, um Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Dazu gehört beispielweise unsere Kulturwoche, in der sie spontan Improvisations-Theater spielen müssen und am Ende sogar Applaus erhalten. Die Jugendlichen entwickeln dadurch Selbstwertgefühl, was für sie wichtig ist. Gleichzeitig ist das für spätere Vorstellungsgespräche eine total gute Übung. Während ihrer Zeit bei uns schreiben die Jugendlichen Bewerbungen, entwickeln mehrere Pläne, wir schauen auf verschiedene Jobs und machen umfassende Persönlichkeits-Seminare. Im besten Fall machen die Jugendlichen im Anschluss mehrere Praktika und können danach sogar eine Ausbildung anschließen.

Was muss bei den Arbeitgeber*innen passieren?

Ich glaube, es geht um das Mindset. Wie offen kann ich jemanden gegenüber sein, der nicht Meier oder Müller heißt. In einem Bewerbungsprozess begegnet ein Mensch einem anderen Menschen. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese externen Faktoren außen vor zu lassen. Doch dafür braucht es einen langsamen Change. Einer der Schlüssel könnte sein, sich immer wieder zu hinterfragen. Begegnen wir beispielsweise einer schwarzen Bewerberin offen oder sind wir doch etwas voreingenommen?

In den vergangenen Wochen wurden die Ereignisse der Silvesternacht pauschalisierend und mit rassistischen Tönen öffentlich diskutiert. Wie hast du diese Diskussion wahrgenommen und welche Folgen haben solche Debatten auf die Jobsuche von Jugendlichen mit einem nicht deutsch klingenden Namen?

Diese grundsätzliche Diskussion ist in meinen Augen schwierig und stark vereinfacht. Ich arbeite mit Jugendlichen und sie sind nicht anders als deutsche Jugendliche. Sie bauen auch mal Mist. Natürlich ist es ein Thema, dass in die Kerbe der Unternehmen schlägt, die bereits Jugendliche aufgrund äußerer Merkmale ablehnen. Für die Unternehmen, die das ohnehin schwierig finden, ist es Wasser auf die Mühlen. Ich weiß nicht, wieviel Auswirkungen das am Ende haben wird, ich kann mir aber vorstellen, dass das was macht mit den Menschen, weil es sich festsetzt. Am Ende fragen sich diese Leute, ob man ausländisch klingende oder deutsch klingenden Bewerber*innen einlädt.

Was würdest Du Dir für die Zukunft wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass Arbeitgeber*inne offener werden und sich weniger auf äußere Merkmale konzentrieren und darauf fokussieren, was die Person mitbringt. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass man die Menschen einfach mal einlädt und kennenlernt. Ich glaube, dass es ein starkes Gegengewicht zu rassistischen Diskussionen braucht. Nach und nach kommt das auch bei den Firmen an. Wir bekommen einige Rückmeldungen von Unternehmen, die sagen, dass die Leute total super sind. Daran sieht man, dass die Betriebe sich trauen müssen und den Mut brauchen, Jugendliche einzuladen. Egal wie sie aussehen oder heißen.

Danke für das Gespräch, Anika!

 

(lf)

Fotos: FC St. Pauli

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