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"Wir müssen die Kraft des Fußballs nutzen, um für Nachhaltigkeit zu werben"

In einer Studie der gemeinnützigen „cum ratione GmbH“ zur Nachhaltigkeit der Merchandising-Produkte von Proficlubs der ersten und zweiten Bundesliga, die am Donnerstag (17.9.) veröffentlicht wurde, belegt der FC St. Pauli einen starken fünften Platz. Unsere Geschäftsleiter Bernd von Geldern und Michael Thomsen wissen aber auch, dass es damit noch lange nicht getan ist. Ein Gespräch über fair produzierte Fanartikel und die Vorbildfunktion von Fußballvereinen.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für den FC St. Pauli aus der Sicht Eurer jeweiligen Bereiche?

Bernd von Geldern, Geschäftsleiter Vertrieb: "Das Thema Nachhaltigkeit treibt uns nicht erst seit dem Antrag auf der Mitgliederversammlung 2016 um. Anna Willmann und Arne Andersen haben dazu nicht nur den Antrag gestellt, sondern das Thema in der AG Nachhaltigkeit vehement nach vorne getrieben. Diese AG bezog sich zunächst auf das Merchandising, wo wir die größten sichtbaren Fortschritte gemacht haben. Insgesamt müssen wir uns aber mittlerweile in allen vertrieblichen Belangen mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Das beschränkt sich nicht nur auf das Merch, aber hier können wir am schnellsten sichtbare Fortschritte machen. Wir haben zum Beispiel die Produktion der Totenkopf-Shirts auf Fair Trade und GOTS-Standard umgestellt. Wir haben uns dem Thema Nachhaltigkeit sehr ernsthaft genähert – insgesamt ist aber schon die Definition des Wortes schwierig." 

Konkretisiert das gerne.

von Geldern: "Ökologisch am nachhaltigsten wäre am ehesten, wenn man gar keine T-Shirts mehr kaufen würde. Dann könnten wir in der Merch aber nicht mehr der nachhaltige Arbeitgeber sein, der wir sein wollen. Daran sehen wir, dass wir uns dem Thema nicht dogmatisch annähern können. Es gibt keine einfachen Wahrheiten. Dieses Ringen nach der richtigen Lösung und einem Weg, der umsetzbar und nicht zu dogmatisch ist, zeichnet den FC St. Pauli in verschiedensten Bereichen aus."

Michael Thomsen, Geschäftsleiter CSR & Personal: "Ich würde das Wort Nachhaltigkeit dahingehend übersetzen, dass wir in all unserem Handeln im FC St. Pauli die gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen im Blick haben müssen. Welche Auswirkungen hat unser Handeln auf die Natur, die Menschen in den Produktions- und Lieferketten, aber auch im gesellschaftlichen Kontext, wenn wir auf unseren Stadtteil schauen, in dem wir eine besondere Verantwortung haben. Wo können wir mit Nachhaltigkeit unser aller Zukunft positiv gestalten. Wir stellen uns die Aufgabe, die Auswirkungen unseres Handelns auf unser gesamtes Umfeld zu überprüfen. Das ist sehr weitreichend, kleinteilig und arbeitsintensiv. Wir müssen immer darauf gucken und in Kooperation mit Fans, Mitgliedern und Partnern daran arbeiten, dass wir das möglichst gut machen."

Warum muss sich der Verein mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?

von Geldern: "Aus meiner Ansicht aus Eigenantrieb, aber natürlich auch weil alle Stakeholder das verlangen. Fans, Sponsoren und Mitglieder lassen sich in Zukunft mit einer Wischiwaschi-Behandlung nicht mehr abspeisen. Es ist in vielen Diskussionen, auch um die Lizensierung, zu spüren, dass nachhaltiges Wirtschaften Teil der Fußballvereine in der DFL und DFB sein muss. Das liegt daran, dass sie im Rampenlicht stehen und ein Zugpferd sein können. Als Wirtschaftsunternehmen müssen wir uns aber auch nachhaltig aufstellen, weil wir sonst überhaupt keine Chance mehr haben, an diesem Wettbewerb erfolgreich teilzunehmen."

Thomsen: "Genau das ist es! Wir haben zum Glück noch eine e.V.-Struktur, sind aber gleichzeitig auch ein Wirtschaftsunternehmen. Wir sehen, dass wir nachhaltig agieren müssen, um wirtschaftlich und sportlich erfolgreich zu sein. Wir haben gar keine andere Wahl mehr. Wir müssen die Kraft des Fußballs und gerade die des FCSP nutzen, um dafür zu werben."

Der Impuls kam aus der Mitgliederversammlung. Wie wurde das Thema dann behandelt?

von Geldern: "Wir haben die angesprochene AG Nachhaltigkeit gegründet. Diese AG hat sich erst alle zwei, dann alle drei Monate getroffen. Wir haben uns abgestimmt, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind, der mit dem Antrag gemeint war. Im vergangenen Jahr haben wir dann gemeinsam beschlossen, dass dieser Prozess ins Hauptamt überführt werden muss. Carina Weh, die schon vorher dabei war, beschäftigt sich nun im Sinne der AG Nachhaltigkeit als Hauptamtliche mit dem Thema."

Wie lange dauert es, Nachhaltigkeit im Merchandising herzustellen?

von Geldern: "Das ist ein unendlicher Prozess. Da sprechen wir eher über 5-Jahres-Zyklen. Wir haben bei unseren Textilien einen schnellen Erfolg erzielen können, weil die Hälfte unserer Artikel aus reiner Baumwolle bestehen. Wir müssen das letztlich durch alle Produktgruppen durchziehen, bei Tassen, Aschenbechern, Schlüsselanhängern oder Feuerzeugen und uns fragen, ob wir diese Dinge alle brauchen. Wir sind dabei, Produkte rauszuschmeißen oder bei Neuausschreibungen darauf zu achten, dass sie so nachhaltig wie möglich hergestellt werden." 

Thomsen: "Das Merchandising ist in unserem Verein selbst, als auch im Vergleich zu anderen Profifßballvereinen  beim Thema Nachhaltigkeit sehr weit vorne. Von diesen Erfahrungen können wir lernen. Die ersten Schritte des Gesamtvereins sind erstmal die Analyse des Gesamten. Wir befinden uns im Moment gemeinsam mit fünf anderen Bundesligisten in einem CSR-Zertifizierungsprozess, der alle drei Nachhaltigkeitsfelder beleuchtet. Hier werden wir viele Aufgaben für uns finden, das Thema Nachhaltigkeit mittels eines weiterführenden Prozesses zu bearbeiten, den wir immer wieder nachjustieren müssen. Mit einem z.B. plastikfreien Spieltag pro Saison ist es nicht getan. Wir brauchen eine klare Analyse und dann die richtigen Maßnahmen."

Michael Thomsen (li.) und Bernd von Geldern (re.)

Michael Thomsen (li.) und Bernd von Geldern (re.)

Die Umsätze aus dem Merchandising sind wichtig für den Verein, um konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig will man Produkte herstellen, die möglichst lange halten. Widerspricht sich das nicht?

von Geldern: "Nein, das war nie unser Anspruch. Es ist eher so, dass wir vom Controlling zurückgespielt bekommen haben, dass wir das nachhaltigste T-Shirt auch noch für den günstigsten Preis in der Bundesliga anbieten. Das ist ein selbstformulierter Anspruch an uns selbst. Wir haben nicht im Auge, ob Klamotten schnell genug kaputt gehen. Im Catering denken wir darüber nach, wie wir Essensreste vermeiden. Es geht ja viel mehr darum, mit Augenmaß mit den Ressourcen umzugehen. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen das verstehen und Vertrauen in das Label St. Pauli haben."

Wir haben gehört, dass der Bereich Merchandising bei uns schon sehr weit ist. Wo gibt es noch Nachholbedarf?

Thomsen: "Das wird uns die Zertifizierung zeigen, die wir hoffentlich im Oktober haben. Wir haben auch noch den Antrag aus der Mitgliederversammlung 2019 auf einen klimaneutralen Spieltag auf dem Tisch, den wir gemeinsam mit den Antragsteller*innen bearbeiten. Hier erwarten wir durch die Zertifizierung klare Felder in denen wir Handeln können. Nochmals: Es gibt drei Handlungsfelder, die wir zusammen denken müssen: Ökonomie, Gemeinwesen und Ökologie. Und gerade im Bereich Umweltschutz: Wie können wir CO2 wirklich langfristig nachhaltig reduzieren? Das ist eine Mammutaufgabe für den Verein. Wir warten ab, was der Prozess bringt und wo unsere Baustellen sind, die wir dann bedacht und mit den Leuten, die uns ausmachen, zusammen angehen."

von Geldern: "Wir sprechen mit unseren Sponsoren über Lebenspartnerschaften und nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe. Die Techniker Krankenkasse ist ein gutes Beispiel mit der Weltverbesserer-Aktion, die sie durchführt. Aber auch mit congstar sind wir in sehr guten Gesprächen, was Nachhaltigkeit im eSport angeht."

Der Verein hat in der Studie zu der Fairness der Fanshops eine Top-Platzierung erreicht. Was machen wir denn schon heute gut?

von Geldern: "Wir haben alternativlos das Sortiment umgestellt. Wir haben alle T-Shirts, die nicht nach Fair Trade- und GOTS-Standards hergestellt wurden, aus dem Verkauf gezogen und ersetzt. Das haben wir sehr gut hinbekommen, dass wir unsere Kund*innen nicht vor die Wahl gestellt haben, für ein besseres Produkt mehr Geld auszugeben. Wir haben eine Überzeugung und die setzen wir dann um."

Thomsen: "Die Macher*innen der Studie haben gesagt, dass es uns eine höhere Platzierung gekostet hat, dass wir die Fair Tade- und GOTS-Produkte nicht genug kommunizieren. Wir empfinden es aber eigentlich als Stärke, dass wir damit nicht protzen müssen."

Müssten wir das aber nicht auch machen, wenn wir diese Vorreiterrolle einnehmen wollen?

von Geldern: "Wir haben schlaue Stakeholder, die uns verfolgen und wissen, was wir tun. Ich finde, die Zurückhaltung in der Kommunikation steht uns. Wir haben jetzt 50, 60 Prozent der Produkte so umgestellt, dass wir unseren eigenen Anspruch erfüllen. Den Rest aber noch nicht. Wir wollen diese Angriffsfläche nicht bieten. Wir können nicht Lieferanten einfach so abwählen, sondern müssen ihnen auch die Chance geben, sich zu verbessern. Es braucht Zeit und die müssen wir uns nehmen, vielleicht aber auch häufiger über den Stand bei uns sprechen."

Thomsen: "Wir haben auch einige andere Vereine, von denen manche auch im Ranking vor uns liegen, beraten. Da waren wir schon beispielgebend. Was wir tun, braucht nicht nur einen Verein, sondern alle. Wenn sich die ganze DFL auf einen Nachhaltigkeitskodex einigen würde, dann wäre auch klar, wie wir es gemeinsam machen. Im Moment machen wir das punktuell als FC St. Pauli, wir brauchen aber eine Gesamtlösung für den Profifußball."

Also ist es das übergeordnete Ziel, den Profifußball über den FC St. Pauli hinaus in dem Thema voranzubringen?

Thomsen: "Wir können nicht der Verein sein, der immer mit erhobenem Zeigefinger durch die Gegend läuft. Wir haben selber genug Baustellen. Es geht nur darum, die Beispiele aufzuzeigen, die wir im Sinne des fairen Wettbewerbs brauchen. Beim Positionspapier der Fanszene werden gemeinsame Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit gefordert. Ich glaube, das kann der richtige Schritt sein, denn Insellösungen bringen uns als Gesamtgesellschaft nicht weiter. Wir würden uns wünschen, dass alle Vereine in den Profiligen und auch den darunter liegenden das Thema Nachhaltigkeit durchdenken und eine gemeinsame strategische Lösung finden. Die Schlagkraft erhöht sich umso mehr, wenn alle das gleiche Verständnis und Commitment zu Nachhaltigkeitszielen haben."

von Geldern: "Die oft beschworene Solidarität im Fußball gibt es ja so nicht. Wir können nur unseren Leuchtturm anschalten und hoffen, dass andere aus eigener Motivation oder deren Stakeholder darauf aufmerksam werden."

Vielen Dank für das Gespräch!

 

(hbü/lf/ms)

Fotos: FC St. Pauli

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