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Der FC St. Pauli trauert um Rainer Wulff

Der FC St. Pauli trauert um seinen langjährigen Stadionsprecher Rainer Wulff. Mehr als 30 Jahre lang, von 1986 bis 2017, war der vielseitige Rundfunkjournalist, Autor, Moderator und Opernkenner ehrenamtlich "die Stimme vom Millerntor". Nun ist Rainer Wulff nach langem Kampf gegen eine Krebserkrankung am Mittwoch (11.5.) mit 79 Jahren verstorben. Unser tiefes Mitgefühl gilt Rainers Ehemann Torsten Statz, seinen Angehörigen und Freunden und allen, die sich Rainer und Torsten verbunden fühlen. 

"Hamburg ohne den FC St. Pauli ist wie die Elbe ohne Wasser. Der FC St. Pauli ohne Rainer Wulff ist wie Musik ohne Ton": So gratulierte die Stadionzeitung VIVA St. Pauli anno 2006 zu Rainer Wulffs 20. "Dienstjubiläum", und das hatte seinen Grund. Denn "Stadionsprecher" – das mag für manche Menschen nach einer nüchternen Angelegenheit klingen, nach dem Verkünden von Ergebnissen und Zuschauerzahlen. Rainer Wulff aber entwickelte als Stadionsprecher einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. Damit prägte er über Jahrzehnte das Stadionerlebnis am Millerntor maßgeblich mit.

"Mit seinem leidenschaftlichen, manchmal auch mahnenden, indes nie aufgesetzten Ton hebt er sich als Stadionsprecher des FC St. Pauli bis heute wohltuend ab von seinen marktschreierischen, oft nur noch peinlichen jüngeren Kollegen in den anderen Arenen", lobte das Hamburger Abendblatt 2014. Etliche andere Medien, von den Kieler Nachrichten bis zur Wochenzeitung Die Zeit, sahen das ähnlich.

Als Stadionsprecher prägte Rainer Wulff – hier 2010 vor dem Derby gegen den HSV – einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil.

Als Stadionsprecher prägte Rainer Wulff – hier 2010 vor dem Derby gegen den HSV – einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil.

"Danke-Bitte"-Spielchen mit den eigenen Fans nach einem Tor oder abfällige Sprüche in Richtung des anderen Teams wären Rainer Wulff nie in den Sinn gekommen. Statt "Gegnern" empfing er am Millerntor lieber "Gäste" – und spielte für diese stets auch ihr jeweiliges Fanlied. Eine Seltenheit in Deutschland. Wie auch die "Einsingphase" ohne Musik oder Werbeunterbrechungen, die Rainer und sein Team auf Wunsch der Fans einführten.

Ungewöhnlich auch Rainers Initiative gegen die falsche Aussprache von Spielernamen: Im Rahmen seiner akribischen Vorbereitung vor jedem Matchday musste er sich immer wieder fragen, wie dieser oder jener Name wohl korrekt auszusprechen wäre – "eine Frage des Respekts", fand Rainer Wulff. Weil es keine entsprechende Referenz gab, schritt er kurzerhand selbst zur Tat: Er erstellte eine umfassende Phonetik-Datenbank für sämtliche Spielernamen der 1. und 2. Bundesliga, machte diese öffentlich zugänglich und hielt sie aktuell. Für Journalist*innen, Stadionsprecher*innen und alle, die es wissen wollen, ist diese bis heute im Netz abrufbar.

Auch als Gesangsjuror und Opern-Eperte war Rainer Wulff gefragt. Bei den Eutiner Festspielen trat er in einer Sprechrolle als Don Giovanni auf.

Auch als Gesangsjuror und Opern-Experte war Rainer Wulff gefragt. Bei den Eutiner Festspielen trat er in einer Sprechrolle als Don Giovanni auf.

Bis zu seiner Pensionierung (2003) war Rainer Wulff 37 Jahre beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) tätig – ab 1989 in der Kulturredaktion, wo er bald Chef vom Dienst (CVD) wurde und zudem die Opernredaktion leitete. Als Gesangsjuror und Moderator blieb Rainer Wulff nach Dienstende aktiv – und stand, etwa bei den Eutiner Festspielen, immer wieder selbst auf der Bühne, etwa in einer Sprechrolle als Don Giovanni.

Die vielseitigen Interessen und der hintergründige Humor Rainer Wulffs werden in seinen Satiren und Glossen sichtbar. Denn auch das war Rainer: ein versierter und gewitzter Autor, der Zuschauer*innen auf Lesungen in ganz Norddeutschland mit Liveperformances seiner Texte begeisterte. Immer wieder auch am Millerntor, etwa bei der Fan-Gala "Zwei Kessel Braun-Weißes", dem "Fußball und Liebe"-Festival, der "Langen Nacht der Museen" und anderen Veranstaltungen des FC St. Pauli-Museums, zuletzt im März 2022 anlässlich der Vorstellung seines Buches "Glücklich gescheitert. Best & Worst of" (hier findet Ihr die Aufzeichnung der Lesung).

2016: Auftritt bei der Fan-Gala „Zwei Kessel Braun-Weißes“ von Fanräume e.V. und 1910 e.V. im Ballsaal des Millerntor-Stadions.

2016: Auftritt bei der Fan-Gala "Zwei Kessel Braun-Weißes" von Fanräume e.V. und 1910 e.V. im Ballsaal des Millerntor-Stadions.

Bereits 2014 erschien Rainer Wulffs Hörbuch "Vom Runden ins Eckige", aufgezeichnet in den Fanräumen und veröffentlicht in der "Edition 1910" des Museums beim Hamburger Label Grand Hotel van Cleef (hier der Trailer, gedreht mit Rainer am – ausnahmsweise leeren – Millerntor). Die Erlöse des Hörbuchs trugen dazu bei, das FC St. Pauli-Museum aufzubauen, dem Rainer Wulff von Anfang an eng verbunden war: 2013 trat er bei einer der ersten öffentlichen Museums-Aktionen publikumswirksam am Mittelkreis des Millerntor-Stadions in den Förder- und Betreiberverein 1910 – Museum für den FC St. Pauli ein.

In der KIEZBEBEN-Ausstellung des Museums in der Gegengerade ist Rainer als Zeitzeuge im Video zu sehen. Dort erinnert er sich unter anderem an die winzige Sprecherkabine, die er von 1988 bis 2010 "bewohnte": "Jener legendäre Stuhl, der mir dort zugewiesen wurde, schien bereits damals vom Sperrmüll zu stammen: Gelbe, ramponierte Schaumstoffpolster quollen aus dem aufgerissenen Plastikbezug. … Wenn ich im Überschwang der Gefühle ein Tor zu enthusiastisch bejubelte, setzte die übersteuerte Anlage minutenlang aus." Eine Klimaanlage war zwar vorhanden – doch statt für angenehme Kühle zu sorgen, wäre sie "eher geeignet gewesen, im Schlachthof Ochsenhälften schockzugefrieren".

Rainer Wulff 2014, vor der Aufzeichnung seines Hörbuchs „Vom Runden ins Eckige“ in den Fanräumen.

Rainer Wulff 2014, vor der Aufzeichnung seines Hörbuchs „Vom Runden ins Eckige“ in den Fanräumen.

Der Liebe tat das keinen Abbruch, nie. Rainer Wulff blieb dem FC St. Pauli treu. Durch Höhen (Aufstiege 1988, 1995, 2001, 2007, 2010, Bokal-Serie 2005/6) ebenso wie durch Tiefen. Am 28. April 2017, dem, 31. Spieltag der Saison 2016/17, bestritt Rainer Wulff sein letztes Heimspiel als Stadionsprecher – und freute sich über ein 3:0 gegen Heidenheim (Torschützen: Eigentor John Verhoek – damals bei Heidenheim –, Mats Møller Dæhli, Aziz Bouhaddouz).

"Der Kreis schließt sich", schrieb Rainer zwei Wochen später in seinem Text "Letzte Worte", "konnte ich doch auch 1986 bei meiner Premiere einen klaren Sieg bejubeln: 5:1 gegen Rot-Weiß Oberhausen nach frühem Rückstand. 2-mal durfte ich Dirk Zander und 3-mal Franz Gerber als Torschützen ausrufen. Rund 7000 Zuschauer gerieten aus dem Häuschen, genauer gesagt, sie klatschten wohlwollenden Beifall, unterstützt von zwei Tröten und einem Trommler."

14. Mai 2017: Beim letzten Heimspiel der Saison gegen Greuther Fürth (1:1) wurde Rainer Wulff als Stadionsprecher verabschiedet.

14. Mai 2017: Beim letzten Heimspiel der Saison gegen Greuther Fürth (1:1) wurde Rainer Wulff als Stadionsprecher verabschiedet.

Das war 2017 deutlich anders. Doch auch vor ausverkauftem Millerntor blieb Rainer seinem Stil treu: "Ach ja, meine letzten Worte nach dem Abpfiff neulich waren übrigens 'Tschüss, macht's gut. Und bis zum nächsten Mal.' Also ganz unsentimental. Alles wie immer. Denn es geht ja weiter. Für Euch und für mich. Ich gehe nur dahin zurück, woher ich gekommen bin. Von der Sprecherkabine und vom grünen Rasen wieder zu Euch, den Fans auf den Tribünen. Forza, FC St. Pauli!"

Lieber Rainer: Der FC St. Pauli, sein Museum, seine Mitglieder, Fans und Sympathisanten haben Dir viel zu verdanken. Dass es nun ohne Dich weitergehen soll, ist kaum vorstellbar – und so wird es auch nicht sein. Denn Du hast Spuren hinterlassen, die bleiben. Und so wirst Du auch weiterhin bei jedem Spiel am Millerntor dabei sein, in unzähligen Herzen und zahllosen Erinnerungen. You’ll never walk alone!

 

(cn)

Fotos: Antje Frohmüller (2) / Sabrina Adeline Nagel (2)/ Thorsten Wulff / Witters

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