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DFB-Reform: Große Aufregung um kleine Fußballer*innen

Ab der kommenden Saison wird es verbindlich neue Spielformen im Kinderfußball geben. Daran gibt es seit Wochen heftige Kritik, zuletzt von Aki Watzke. So wird behauptet, künftig solle Leistung keine Rolle mehr spielen. NLZ-Leiter Benjamin Liedtke weist diese Behauptung deutlich zurück.

Hans-Joachim Watzke hat am Mittwoch (6.9.) beim Unternehmertag in Essen unter anderem über die Reform im Nachwuchs gesagt: „Unfassbar und für mich nicht nachvollziehbar. Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen. Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das auch sehr viel über die deutsche Gesellschaft aus.“ Zudem sagte der hochrangige Fußballfunktionär laut verschiedenen Medienberichten: „Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft.“

Watzke stellte die Reform in einen größeren Kontext und behauptete, „im DFB und in der Gesamtgesellschaft“ gebe es „viele Leute, die sagen: Wir müssen weniger Leistungsdruck und Stress am Arbeitsplatz und lieber ein bisschen mehr Home-Office haben. Wir müssen alle fröhlich und friedlich sein und uns alle gut vertragen und am Ende gucken, dass wir noch einen finden, der das Ganze bezahlt. Und das ist schon weit auch in den Jugendfußball eingedrungen, das darfst du nicht unterschätzen.“

In ähnlicher Form hatte sich zuvor beispielsweise der Trainer des 1. FC Köln, Steffen Baumgart, geäußert. Er sagte im WDR-Podcast „Einfach Fußball“: „Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht.“ Es sei doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliere, es müsse doch lernen, mit Niederlagen umzugehen, so Baumgart weiter. „Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur, wenn ich zehn Tore schieße.“

Zuvor hatte sich bereits auch die AfD in die Debatte eingemischt, so behauptete beispielsweise deren sportpolitischer Fraktionssprecher im Landtag von Baden-Württemberg, Hans-Peter Hörner, die Reformen seien „ein weiterer Schritt weg von der Leistungs- und hin zur Spaßgesellschaft“. Das ‚Funino‘ habe „nichts mehr mit einem Fußballspiel zu tun, das die Besseren gewinnen, sondern ist Freizeitbeschäftigung ohne jeden Anstrengungscharakter. Doch ohne klare Leistungsvorgaben sind am Ende alle gleich schlecht. Das ist vielleicht für linke Weltbeglücker ein erstrebenswerter Zustand, für die Sportlichkeit unserer Kinder aber fatal“.

Einstimmige Entscheidung nach Pilotphase

Eine Gesellschaft ohne Leistungsgedanken, verweichlicht und nur an Spaß orientiert – so in etwa lautet das Credo vieler Stimmen. Doch was ist eigentlich genau geplant und wie ist die Reform für wen entwickelt worden? Der DFB-Bundesjugendtag sprach sich bereits Anfang 2022 einstimmig für die verbindliche Umsetzung der neuen Spielformen im Kinderfußball aus. Die Regelung soll mit Beginn der Saison 2024/2025 bundesweit in Kraft treten. Danach sollen die veränderten Spielformen die bisherigen Wettbewerbsangebote in der G-, F- und E-Jugend als feste Formate ablösen. Den Beschlüssen zur Reform war eine zweijährige Pilotphase vorausgegangen, an der sich alle 21 Landesverbände mit zahlreichen Fußballkreisen und Vereinen beteiligt hatten.

Das Hauptmotiv dahinter: Der Verband will nicht weiterhin den Fußball von Erwachsenen einfach auf Kinder übertragen, sondern geeignetere Spielformen entwickeln. So wird in der G-Jugend verbindlich im Zwei-gegen-Zwei oder Drei-gegen-Drei auf vier Minitore gespielt. In der F-Jugend wird ebenfalls das Drei-gegen-Drei empfohlen, alternativ ist auch ein Vier-gegen-Vier oder Fünf-gegen-Fünf möglich. In der E-Jugend wird fest zum Fünf-gegen-Fünf bis maximal Sieben-gegen-Sieben übergegangen, in dieser Altersklasse erfolgt auch der stufenweise Übergang zum Einsatz von Kleinfeldtoren und Torhüter*innen. In der G- und F-Jugend wird keine Meisterschaftsrunde ausgetragen. Stattdessen sind Spielenachmittage und Festivals mit mehreren Mannschaften und Spielfeldern vorgesehen, sodass sich die Teams miteinander messen können.

Mehr Ballkontakte, mehr Einsatzzeiten, weniger Interventionen

Ziel ist keineswegs, alle „gleich schlecht“ zu machen, sondern alle Kinder mehr am Spiel zu beteiligen. Außerdem sollen die Einsatzzeiten gleichmäßiger verteilt werden. Integriert in die Spielformen ist dafür ein Rotationsprinzip mit festen Wechseln der Spieler*innen. Wichtigstes Ziel in den Altersklassen U6 bis U11 ist es, mit einer kindgerechten Art des Fußballs den Spaß am Spiel nachhaltig zu fördern. Den Spieler*innen werden mehr Aktionen und persönliche Erfolgserlebnisse ermöglicht.

Alle haben den Ball öfter am Fuß, können aktiv am Spiel teilnehmen und öfter Tore schießen. In den veränderten Spielformen müssen die Kinder zudem selbstständiger Lösungen finden, denn es gibt viel mehr unterschiedliche Gegner, Spielsituationen und Herausforderungen, sie müssen Situationen schnell erkennen und selbst unmittelbar Lösungen finden. Dadurch wird auch das Coachen durch die Trainer*innen und vor allem die Einflussnahme der Eltern auf das Nötigste beschränkt. Es gibt mehr Spiele und damit auch mehr Siege und Niederlagen. Und es gibt keine Taktiererei oder Wettbewerbsverzerrungen mehr am Ende der Saison, wenn ein Team beispielsweise nur noch einen Punkt benötigt oder bereits abgestiegen ist.

Da Kinder in diesem Alter erst am Anfang ihrer fußballerischen Entwicklung stehen, werden keine Spieler*innen schlechter, sondern alle haben bessere Chancen, zu lernen, Verantwortung zu übernehmen und so besser zu werden. Dadurch können Teams auch insgesamt stärker werden.

Dazu kommen weitere Effekte: So wird schon lange über das Kopfballspiel bei Kindern diskutiert, das die Kinder keineswegs leistungsfähiger und härter macht, sondern mutmaßlich schädlich ist. Die neuen Spielformen sorgen dafür, dass Kopfbälle künftig kaum noch gespielt werden, denn die Spielfelder sind deutlich kleiner, Einwurf und Abstoß werden durch das Eindribbeln ersetzt, ein Abschlag durch den Torwart findet kaum statt. Statt das Kopfballspiel durch Regeln zu untersagen, findet es im Spiel einfach kaum noch statt. Eine recht elegante Lösung.

Umfrage mit klarem Ergebnis

Und was sagt die Basis zu der Reform? Eine Umfrage mit Tausenden Teilnehmenden aus dem Bereich des Amateur- und Jugendfußballs zeigt, dass viele Engagierte die Ziele der Modernisierung ausdrücklich unterstützen. Den Wunsch, dass Kinder Spaß am Spiel haben sollen, teilen nahezu alle Umfrage-Teilnehmer*innen: Mehr als 99 Prozent halten dies für wichtig oder sehr wichtig. Ähnlich stark gewichtet werden die Vorhaben, dass Kinder Fairplay erleben (95 Prozent), möglichst viele Ballaktionen haben sollen (93 Prozent) und möglichst altersgerecht Fußball spielen (90 Prozent). Dass der Nachwuchs durch Zwischenrufe der Eltern weniger gestört werden soll, beurteilt 89 Prozent der Teilnehmenden als wichtig oder sehr wichtig.

In vielen Online-Kommentaren wird nun zudem behauptet, durch die Reform werde Deutschland international nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Abgesehen davon, dass die Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren nicht gerade von Erfolg zu Erfolg geeilt ist, handelt es sich bei der Reform keineswegs um einen Sonderweg. Die englische FA schreibt beispielsweise auf ihrem Portal mit Tipps für das Training und Coaching:

Fun makes you motivated. And motivation keeps you interested. We’re trying to develop a generation of players that see the game differently. Players who are passionate. Players who are skilful. 

(Spaß motiviert. Und Motivation hält das Interesse wach. Wir versuchen, eine Generation von Spielern zu entwickeln, die das Spiel anders sehen. Spieler, die leidenschaftlich sind. Spieler, die kompetent sind.) 

Nationalspieler Jamal Musiala kennt sowohl die fußballerische Ausbildung in Deutschland als auch England. In einem BBC-Gespräch sagte er zu den Unterschieden: "In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen."

Der englische Fußballverband empfiehlt bei unterschiedlichen Leistungsniveaus zudem Maßnahmen, um für mehr Ausgeglichenheit zu sorgen: Führt eine Mannschaft mit vier Toren, wird die sogenannte „Power Play Law“ empfohlen. Hier bekommt die schwächere Mannschaft eine*n Spieler*in mehr und dadurch eine Überzahl. Schrumpft dadurch die Tordifferenz wieder, wird ein*e Spieler*in wieder rausgenommen. Wird die Tordifferenz aber weiter erhöht, wird ab einem Abstand von sechs Toren ein*e zweite*r zusätzliche*r Spieler*in vorgeschlagen, so würde aus einem Fünf-gegen-Fünf ein Sieben-gegen-Fünf werden. Ähnliche Regelungen gibt es beispielsweise in Dänemark.

Auch viele andere Verbände setzen auf Fußball-Turniere und kindgerechte Spielformen statt auf eine stumpfe Übertragung des Erwachsenenfußballs mit taktischen Korsetts und statistischen Rechnereien auf die Jüngsten. Dementsprechend irritiert reagierte unter anderem DFB-Präsident Bernd Neuendorf auf die scharfe Kritik von Watzke. Neuendorf verwies darauf, dass die neuen Spielformen nach einer mehrjährigen Pilotphase unter enger Einbeziehung der DFL vom DFB-Bundestag einstimmig beschlossen wurden. „Wir sollten daher unsere eigenen Beschlüsse ernst nehmen und das, was viele Fachleute ausdrücklich befürworten, jetzt auch umsetzen“, appellierte Neuendorf. In anderen Ländern hätten ähnliche Reformen zu deutlichen Leistungssteigerungen geführt.

„Wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildungsphilosophie“

Und wie sieht es beim FC St. Pauli aus? Der Verein bietet schon lange FUNiño für Kinder an. Aber auch im Nachwuchsleistungszentrum, so erklärt es NLZ-Leiter Benjamin Liedtke, seien Kleinspielformate „wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildungsphilosophie und fest in unserer Periodisierung von der U12 bis U19 verankert: „3 gegen 3, 4 gegen 4 und 5 gegen 5 mit unterschiedlichsten Bällen und Regeln helfen den Spielern, mehr Ballkontakte und hochwertige Ballhandlungen im Spiel zu haben.“ Liedtke weist die Behauptung zurück, dadurch werde der Leistungsgedanke eliminieret - ganz im Gegenteil: „Wir sind der Überzeugung, dass wir damit mehr leistungsorientierte und vor allem bessere Fußballer ausbilden. Die Reform des DFB im Kinderfußball ist dabei ein unbedingt notwendiger Schritt für mehr Qualität in der Ausbildung in der Basis und den Leistungszentren.“

Liedtke und Fabian Seeger haben ein ganz eigenes Konzept entwickelt und eine Rebellution ausgerufen. Das Ziel: Spieler ganzheitlich fördern, sie zu Persönlichkeiten entwickeln, die auf und neben dem Platz Verantwortung für sich und für die Gemeinschaft übernehmen. Dadurch werden nicht alle schwächer – sondern im Gegenteil: es profitieren alle, sowohl individuell als auch die Gemeinschaft. 

 

(pg)

Fotos: FC St. Pauli

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