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Refused im Interview: "Weiterzukämpfen ist die einzige Option"

Wenn das mal nicht "The Shape Of Punk Football To Come" ist: Refused und der FC St. Pauli haben diese Woche ein gemeinsames T-Shirt veröffentlicht. Das Shirt, dessen Design das legendäre, hochpolitische Refused-Album "The Shape Of Punk To Come" aus dem Jahre 1998 zitiert, erscheint pünktlich zur Europa-Tournee der Band. Am Tag ihrer Hamburg-Show schauten die Schweden am Millerntor-Stadion vorbei, dabei haben wir uns mit Sänger Dennis Lyxzén über Kapitalismus, seine Fußball-Leidenschaft und das neue Refused-Album "War Music" unterhalten.

Hallo Dennis. Du bist nicht nur großer Fußball-Fan, sondern hast auch einen Trainerschein. Erzähl uns von Deiner persönlichen Fußball-Geschichte.

"Eigentlich habe ich Fußball lange gehasst. Ich war Punk und viele der Leute, die in meiner Heimatstadt Fußball spielten, waren Bullys. Sie mochten es nicht, wenn man anders war, anders dachte oder handelte. 1994 erreichte Schweden dann das Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft. Wir sahen uns die Spiele an, während wir im Sommerhaus meiner Eltern an einem Refused-Album schrieben und irgendwie machte es plötzlich Spaß. Danach fing ich an, mit Freunden Fußball zu spielen und vor acht Jahren begann ich, in Schweden in der fünften Liga zu spielen. Dummerweise habe ich mir letztes Jahr das Knie kaputt gemacht und musste aufhören. Ich habe es schnell vermisst, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, und da wir nie einen richtigen Trainer hatten, habe ich einem Trainerkurs absolviert. Jetzt habe ich einen Trainerschein! Also wenn der FC St. Pauli in Zukunft mal einen Trainer braucht, könnte ich der Richtige sein (lacht)."

Wann hast Du den FC St. Pauli das erste Mal wahrgenommen?

"Ich habe vor langer Zeit durch die Punk-Szene von dem Club gehört. Wenn du in Punkkreisen rumhängst, tragen alle deine Freunde St. Pauli T-Shirts, besonders wenn man durch Deutschland tourt. St. Pauli ist die Punk-Fußballmannschaft, deshalb mochte ich sie immer. Und ich finde es wirklich cool, dass Refused und St. Pauli mit diesem T-Shirt zusammenkommen. Das ist eine große Sache für uns."

Die Band Refused um Sänger Dennis Lyxzén bei ihrem Auftritt in Hamburg.

Was unterscheidet den FC St. Pauli von anderen Vereinen?

"Die Tatsache, dass St. Pauli eine Sportmannschaft ist, die sich in politischen und sozialen Fragen engagiert, finde ich wirklich großartig, denn viele Menschen haben davor Angst. Natürlich haben einige Vereine soziale Programme, aber kein anderer Verein hat groß den Schriftzug „Kein Fußball den Faschisten“ auf den Rängen stehen. Vor dem Hintergrund meines politischen und Punkrock-Backgrounds bin ich der Meinung, dass Sport ein gutes Tool für Integration und für politische Ideen sein kann."

Warum sind Fußball und Musik eine gute Plattform dafür?

"Weil sie viele Leute ansprechen. Eine Menge Menschen lieben Musik und Sport, und ich finde, dass jede Plattform, die wir nutzen können, um Menschen zu bilden oder ihnen bewusst zu machen, was in der Welt vor sich geht, wichtig ist. Bei Musik und Kunst ging es immer darum, die aktuelle Zeit zu reflektieren, unsere Umgebung zu reflektieren und darüber zu sprechen, was vor sich geht. Ich denke, dass Sport das auch leisten kann. Oft wird versucht, Sport und Politik zu trennen, aber die Dinge, die in unserer Welt passieren, beeinflussen auch den Sport, sie beeinflussen unser Leben. Und ich finde es großartig, wenn Sportvereine und Sportler über Politik sprechen, weil einfach viele Leute zuhören und aufmerksam sind. Wenn es um Sport geht, hören noch mehr Menschen zu als bei Musik."

Was hat Dein Interesse an Politik geweckt?

"Ich war noch jung, als ich zum Punk kam. Ich fühlte mich immer schon wie ein Außenseiter, als würde ich nicht wirklich in diese Welt passen. Irgendwann entdeckte ich Musik, Punk und Hardcore und es öffnete meine Augen. Durch Musik entdeckte ich Politik, durch Musik entdeckte ich all diese Ideen, die ich heute noch in mir trage. Das habe ich alles der Musik zu verdanken, sie hat mich erzogen und zur Politik gebracht, vor über 30 Jahren."

Das neue Refused-St. Pauli-T-Shirt zitiert sowohl das Cover als auch den Titel Eures Albums "The Shape Of Punk To Come" – eine sehr politische Platte. Inwiefern ist das Album heute noch relevant?

"Es ist schwer, darüber zu sprechen, weil dieses Album so ein großer Teil meines Lebens ist. Als es herauskam, definierte es Musik für viele Menschen neu und veränderte die Wahrnehmung von Hardcore. Ich finde es großartig, dass wir diese Platte vor 22 Jahren geschrieben haben und immer noch darüber reden. Das ist ein Privileg. Viele Leute machen ihr ganzes Leben lang Musik und haben so einen Einfluss nie. Wir haben das geschafft, was ziemlich genial ist."

Den Rundgang durchs Millerntor-Stadion ließ sich die Band Refused nicht nehmen.

Euer neues Album "War Music" ist letzten Monat erschienen. Wogegen kämpft Ihr mit der Platte?

"Es ist immer noch der Kampf gegen den Kapitalismus. Im Grunde hat sich das nicht geändert, seit wir die Band gegründet haben: Schon auf unserer ersten EP haben wir über Kapitalismus und die Probleme mit diesen wirtschaftlichen, sozialen Strukturen gesprochen. Viele Dinge, wie die Zunahme des Rechtspopulismus und die bevorstehende Klimakatastrophe, passieren in meinen Augen, weil wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, die einfach nicht für Menschen gemacht ist. 'War Music' ist also fast ein Themen-Album über das Scheitern des Kapitalismus und den Kampf gegen ihn."

Ihr habt Refused vor 28 Jahren gegründet, 1998 aufgelöst und 2012 Euer Comeback gefeiert. In Anbetracht dessen, was seitdem passiert ist, von Trump bis Brexit: Brauchen wir Refused heute mehr denn je?

"Jede Art von Musik, die über Politik spricht, und jede Art von Fußballverein, der über Politik spricht, wird mehr denn je gebraucht. Die Polarisation der Welt und die Spannung zwischen Linken und Rechten sitzt derzeit so tief, dass wir Musik, Kunst, Kultur und alles brauchen, was diese Kluft erklären und überbrücken kann. Viele Alt-Right-Leute wollen, dass die Dinge wieder so sind, wie sie früher waren – und es liegt am Scheitern des Kapitalismus, dass diese Leute austeilen. Wenn alle Menschen einen sicheren Arbeitsplatz und Ort zum Leben hätten, müssten sie nicht rassistisch sein und für populistische, faschistische Ideen stimmen. Wir wollen im Grunde alle die gleichen Dinge, wir gehen bloß anders vor. Aber die, die am Ende von der Spaltung der Gesellschaft profizieren, sind die ein Prozent, die Kapitalisten. Und deswegen brauchen wir mehr denn je Musik, die über diese Dinge spricht und ein Licht darauf wirft, wer von dieser großen Kluft profitiert."

Nun seid Ihr schon ein paar Jahre dabei. Glaubst Du, dieser Kampf kann irgendwann gewonnen werden?

"Ja, ich glaube schon. Wenn man jung ist, denkt man immer, dass alles ein Sprint ist. Man verteilt ein paar Flyer, macht ein Album... Aber die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist ein Marathon. Man muss einfach immer weitermachen und am Ende des Lebens sind die Dinge hoffentlich besser. Und wenn man sich die Welt mal anschaut – es gibt schon ein paar Dinge, die viel besser sind, zum Beispiel in Hinblick auf Feminismus, den Klimawandel und Tierrechte. Gleichzeitig es gibt natürlich auch Dinge, die schlimmer geworden sind. Es ist ein Hin und Her, aber weiterzukämpfen und jeden Tag aufs Neue zu versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist für mich die einzige Option."

 

Text: Nadine Wenzlick

Fotos: Ben Wessler

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