Kiezbeben-Geschichten: Die fliegende Waschfrau
Freitag, 14. Juni 2019, 14:45 Uhr
Auf über 600 Quadratmetern erzählt die große Ausstellung KIEZBEBEN im FC St. Pauli-Museum in der Gegengerade, wie der FC St. Pauli wurde, was er heute ist: „Die zweite Geburt des FC St. Pauli“, so der Untertitel der Ausstellung. Aufwändig inszeniert und recherchiert, lässt sie ihre Besucher braun-weiße Geschichte und Geschichten neu erleben – mit etlichen Original-Ausstellungsstücken, in Film, Foto und Text. Einige der schönsten KIEZBEBEN-Stories erzählen wir hier auf fcstpauli.com. Diesmal begegnen wir einer ungewöhnlichen Frau, die gegen den Grauschleier auf Kiezkicker-Trikots kämpfte – und zum Fernsehstar wurde.
Volker Ippigs Interview im Aktuellen Sportstudio 1988, nach dem 0:0 gegen Bayern am Millerntor, ist heute legendär (wir berichteten: KLICK!). Weniger bekannt, aber mindestens ebenso ungewöhnlich, ist ein zweiter Fernsehauftritt, der ebenfalls mit diesem Spiel zusammenhängt.
Der Hintergrund: Durch seinen Aufstieg in die 1. Bundesliga stieß der FC St. Pauli nicht nur in eine neue Liga vor. Sondern auch in eine veränderte Medienlandschaft: 1988/89 übernahm erstmals ein Privatsender die Bundesliga-Berichterstattung.
Mit „Anpfiff – die totale Fußballshow“ wollte RTL plus alles anders machen. Da kam der unkonventionelle Stadtteilclub wie gerufen: „Während wir bei anderen Vereinen nach Kuriosem und Skurrilem mühsam suchen mussten, trat das am Hamburger Kiez geballt auf“, erinnert sich der damalige „Anpfiff“-Chef Ulli Potofski.
Viele dieser unkonventionellen Menschen könnt Ihr im KIEZBEBEN kennenlernen. Zum Beispiel die pensionierte Straßenbahn-Schaffnerin Berta „Betti“ Schlichting, die das im Punkrock beliebte „DIY“- (Do It Yourself)-Ethos beim FC St. Pauli auf ihre ganz eigene Weise lebte: „Der Grauschleier auf den Trikots der Spieler regte mich auf. Da habe ich die Sache selbst in die Hand genommen.“
Was Betti Schlichting zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Schon bald wurde das Fernsehen auf sie aufmerksam. Während Volker Ippig nach Frankfurt flog, um das ZDF in Mainz zu besuchen, hob in Hamburg ein Helikopter mit unkonventioneller Besetzung mit Reiseziel „Köln“ ab, wo sich die RTL-Studios befanden. An Bord: Cheftrainer Helmut Schulte, Ex-Trainer Michael Lorkowski als Sachverständiger, Spieler Jens Duve – und Berta Schlichting, die Waschfrau.
In Köln traf das ungewöhnliche braun-weiße Quartett auf Moderator Uli Potofski – und Günter Netzer, der als Experte zu Protokoll gab, Bayern-Cheftrainer Jupp Heynckes hätte sich weniger über fliegendes Kleingeld, Bierdosen und was noch so alles aufs Spielfeld hagelte aufregen sollen als vielmehr über das schwache Spiel seiner Mannschaft.
Für die Leistung des FC St. Pauli dagegen zog Berta Schlichting eine positive Bilanz – und kam als erste zu Wort: „Flaschen geworfen habe ich nicht“, lachte sie: „Das wäre mir nicht im Traum eingefallen. Das Spiel war sehr schön, unsere Jungs haben toll gespielt. Ich fand allerdings die Bayern ein bisschen .... Knochenbrecher, möchte ich sagen.“
Wollt Ihr mehr über Berta Schlichting, Volker Ippig und andere braun-weiße Originale erfahren – und unzählige weitere KIEZBEBEN-Geschichten aus Verein und Viertel erleben? Dann seht Euch die Ausstellung an!
KIEZBEBEN. Immer Mittwoch und Freitag von 12 bis 20 Uhr, Donnerstag von 12 bis 22 Uhr (KIEZBEBEN-Nächte) sowie Sonnabend und Sonntag von 11 bis 19 Uhr im FC St. Pauli-Museum (Heiligengeistfeld 1). Hin da, es lohnt sich!
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Mehr Infos:
Text: 1910 e.V.
Fotos: Gerald Kreft im Archiv 1910 e.V. / RTL (Screenshots)