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Schultz und Bornemann im Pressegespräch: "Wir sind unserem Weg treu geblieben"

Die Saison 2020/21 ist zu Ende und das bedeutet auch für unseren Cheftrainer Timo Schultz sowie Geschäftsleiter Sport Andreas Bornemann, zurückzublicken und ein Fazit ziehen. Für das Saisonabschluss-Gespräch stand das Duo den Journalist*innen bereits zum Ende des "Quarantäne-Trainingslagers" Rede und Antwort und sprach dabei u.a. über…

…die schwierige Zeit im ersten Cheftrainer-Jahr im Profi-Fußball:

Timo Schultz: "Ich kann die Sachen schon gut einordnen. Ich habe mich in der schweren Phase immer mit dem beschäftigt, was ich beeinflussen kann. Dazu gehören leider nicht immer die Ergebnisse. Man versucht, unter der Woche bestmöglich zu arbeiten, die Mannschaft vorzubereiten und weiterzuentwickeln. Trotzdem brauche ich auch keinen Hehl daraus machen, dass die Zeit im Dezember schon schwierig war mit Magengrummeln und einigen schlaflosen Nächten. Ich habe immer versucht, zu analysieren und nüchtern zu betrachten, wo wir uns verbessern können und müssen. Mit Andreas und Oke haben wir viele Analysen gemacht, was wir verbessern müssen. Es war auch nicht alles schlecht. Der Ansatz war immer lösungsorientiert, da hatte ich schon in meiner Zeit als Co-Trainer gute Beispiele, wo ich mir für solche Krisensituationen einiges abschauen konnte. Andreas hat mal im Februar zu mir gesagt, dass diese sechs Wochen, wo es nicht gut lief, mir mehr für meine Trainerkarriere gebracht haben als die Fußballlehrerausbildung. Uns zeichnet das als Verein auch aus, dass wir als Team, mit den Fans und wir alle zusammenhalten und zusammenstehen."

…Momente in der Saison, die besonders ins Herz gegangen sind:

Timo Schultz: "Da gab‘s sicherlich viele kleine Momente. Wenn ich an der Kollau frühmorgens bin und man mal mit dem Zeugwart einen Tee trinkt, das sind so kleine Momente, wo man emotional abgeholt wird. Oder wenn ich daran denke, dass wir gegen Regensburg das 1:0 mit einer Freistoßvariante erzielt haben, für die wir lange trainiert haben. Das Spiel in Hannover, wo Igor so spät getroffen hat, das sind auch so Momente. Es müssen nicht immer die Monster-Tore sein, sondern es sind auch die kleinen Sachen, wo man merkt, dass sich das Training auszahlt."

…schwierige Entscheidungen in dieser Saison:

Timo Schultz: "Es war keine Entscheidung so, dass ich sie von dem einen auf den anderen Tag treffen musste. Wir sind unserem Weg treu geblieben. Die Art wie wir Fußball spielen wollen, an der Kollau zusammenarbeiten wollen, da haben wir unsere Werte vorgelebt. Davon wollten wir nie abweichen, das hätte uns sonst auch unglaubwürdig gemacht. Wir haben unsere Werte und unsere Identität. Wir wollten mutig bleiben, kreativ sein, nach vorne spielen, mit den Jungs in die Analyse gehen. Natürlich gehören dazu auch schwierige Entscheidungen, zu denen stehe ich aber auch hundertprozentig. Das gehört zum Trainerjob dazu, auch mal Entscheidungen zu treffen, wo man Gegenwind erwartet. Wenn wir in der sportlichen Führung eine Entscheidung für alternativlos halten, weil es das Beste für die Gruppe ist, dann ziehen wir die auch durch. Wir haben offen und ehrlich mit den Jungs kommuniziert und das ist für mich das Entscheidende."

…den eigenen Entwicklungsprozess als Trainer:

Timo Schultz: "Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Fußballprofi und war jahrelang Co-Trainer. Jetzt im täglichen Umgang mit der Mannschaft, den Medien oder dem Staff hat sich wenig verändert. Ich habe aus diesem ersten Jahr aber schon einiges mitgenommen und würde vielleicht auch Sachen anders machen. Die tägliche Zusammenarbeit mit meinem Staff und der Mannschaft war immer geprägt von Offenheit und immer sehr gut. Wir haben natürlich auch schon analysiert, was wir wo besser hätten machen können, von der Spieltaktik und von Abläufen im täglichen Bereich uns verbessern können. Wir haben am Anfang versucht, sehr viel in die Mannschaft reinzugeben, vielleicht zu viel. Auch ein festes Spielsystem zu finden, was wir in der Hinserie nicht so geschafft haben, das war in der Rückserie besser."

…die Momente in der Saison, die für den meisten Spaß gesorgt haben:

Timo Schultz: "Das Training macht immer Spaß, da entstehen immer die komischsten Momente. Wir haben auch ein paar Spaßvögel im Team. Es ist schon ein bunter, heterogener Haufen. Dafür wollen wir als St. Pauli auch stehen. Nach unserem Auswärtssieg in Aue hat mir ein langjähriger Teamkollege geschrieben, dass es nicht mehr sein St. Pauli ist. Da musste ich wirklich ein bisschen schmunzeln. Gepaart mit den Spielen gegen Würzburg und Osnabrück habe ich auch gedacht, dass ich so eine coole und perspektivisch starke St.-Pauli-Mannschaft lange nicht spielen gesehen habe. Umso bedauerlicher, dass unsere Fans nicht im Stadion dabei sein konnten."

…veränderte Abläufe im Laufe der Saison:

Timo Schultz: "Was Fleiß und Disziplin angeht, habe ich eine kleine Strebermannschaft (lacht). Das war auch in der Hinserie so. Wir haben Kleinigkeiten verändert. Wir haben den Jungs auch ein Frühstück zur Verfügung gestellt und die Vor- und Nachbereitung der Trainingseinheiten etwas individueller gestaltet. Auch im Bereich Pflege nachjustiert, so wie es Corona-konform möglich war. Wir haben ja auch mehrere Kabinen an der Kollau, dass wir nicht in großen Gruppen aufeinanderhängen. Also alles mit Abstand. Wir haben viele Videoanalysen in kleineren Gruppen und individuell gemacht. Auch wir als Trainerteam waren ja sehr neu und frisch dabei und dieser Gewöhnungsprozess war sehr gut, hört aber auch nicht auf. Von den Abläufen her auf und neben dem Platz haben wir immer versucht, uns weiterzuentwickeln und zu verbessern. Wir sagen uns immer, dass Lernen keine Ziellinie hat. Es geht nicht immer um diesen einen neuen Stürmer oder Torhüter, der kommt, sondern kleine Dinge, um die tägliche Arbeit zu verbessern. Wir wollen uns, aber auch die Jungs verbessern. Und dazu gehört eben nicht nur das tägliche Fußballtraining."

…das Trainerteam und mögliche Veränderungen:

Timo Schultz: "Wir werden im Trainerteam so weiterarbeiten, zwei Co-Trainer sind mehr als genug. Veränderungen wird es nur im weiteren Funktionsteam geben. Im Großen und Ganzen bleiben wir aber zusammen. Ich habe mir damals zwei junge Co-Trainer ausgesucht und wusste, dass sie ihre Stärken in der individuellen Entwicklung einzelner Spieler haben. Die beiden können sich selbst auch noch weiterentwickeln und sind auch permanent dabei. Wir im Trainerteam schauen immer, wie wir unsere Kompetenzen anders aufteilen und wie wir noch effektiver arbeiten können. Gemeinsam mit Christian Spreckels ist auch das Thema Lernen bei uns ein Thema. Wie kann man besser in die Jungs reinhorchen und wie kann man noch besser vermitteln – auch das sind Hauptpunkte unserer Analyse."

…notwendige Verbesserungen für die kommende Jahre:

Andreas Bornemann: "Welche Spieler kommen und gehen, ist der Kern. Das Drumherum mit Trainerteam, Funktionsteam und den ganzen Abläufen ist aber mindestens genauso wichtig. Der Verein hat meiner Meinung nach bei der Infrastruktur am meisten Spielraum und Luft nach oben. Ich bin froh, dass innerhalb des Vereins in den verschiedenen Gremien großes Interesse besteht, das Thema anzugehen und nach Lösungen zu suchen. Die Bereitschaft ist groß, sich bei dem Thema weiterentwickeln zu wollen. Ich bin auch froh, dass wir zum 1. April einen neuen Greenkeeper begrüßen konnten, der tagtäglich da ist und neue Ideen mitbringt. Dadurch wird beim Thema Plätze auch ein anderes Bewusstsein im Verein entstehen."

Timo Schultz: "Für mich ist die Qualität der Trainingsplätze unmittelbar wichtig. Da müssen wir uns verbessern. Aber auch im Gebäude gibt es Sachen, wo wir uns in der täglichen Arbeit mit der Mannschaft verbessern wollen. All das muss mit Blick auf die Kosten mit Augenmaß gemacht werden. Es geht aber auch darum, sich als Trainer selbst weiterzuentwickeln und die Chance zu bekommen, über den Tellerrand zu schauen. Wenn wir von unseren Spielern erwarten, permanent aus ihrer Komfortzone herauszukommen, dann müssen wir das auch von uns selbst erwarten können. Da haben wir ein paar coole Ideen, von denen wir einige auch umsetzen werden."

…Spieler, die besonders überrascht haben:

Timo Schultz: "Leart Paqarada hat im Laufe der Saison eine starke Entwicklung genommen, aber auch Rico Benatelli, Philipp Ziereis oder Luca Zander. Rico hat allen Spielern auf dem Platz gerade in sehr schwierigen Phasen eine große Ballsicherheit gegeben. Ich sehe auch bei den Spielern die Entwicklung noch nicht abgeschlossen, sondern noch Potenzial nach oben."

Andreas Bornemann: "Man würde dem Team Unrecht tun, wenn man einen Spieler besonders hervorheben würde. Erstaunlich fand ich aber, dass Guido Burgstaller, der bei Schalke 04 eine lange Leidenszeit hatte, sich bei uns bei seinem zweiten Einsatz verletzt hat und mehrere Wochen raus war, aufgespielt hat, als wäre er schon zwei Jahre bei uns. Leart Paqarada hat zudem eine gute Entwicklung genommen, nachdem er zu Beginn noch nicht so richtig angekommen war. Den einen Spieler, der alle Erwartungen übertroffen hat, gibt es nicht."

...Ausblick auf die kommende Spielzeit:

Timo Schultz: "Ich tue mich aktuell sehr schwer mit einer Einschätzung. Es sind mehrere Big Player in der Liga, die einen ganz anderen Etat haben werden als wir. Wir haben schon Ideen, wie der Kader aussehen soll und wie wir Fußball spielen wollen. Da sind wir einigen Mannschaft vielleicht schon einen Schritt voraus. Ich habe die Rückserie im Kopf, weiß als Trainer aber auch, dass wir nächstes Jahr eine andere Mannschaft in einer sehr attraktiven Liga haben werden. Jetzt eine Einschätzung abzugeben, wäre unseriös. Ende Juli, Anfang August können wir konkreter darüber sprechen."

Andreas Bornemann: "Wir tun gut daran, uns bestmöglich auf die neue Saison vorzubereiten und besser zu starten. Stabilität ist einfach sehr wichtig. Es ist aber sehr schwierig, in dieser Liga mit der Leistungsdichte auf einem gewissen Level eine Stabilisation hinzubekommen. Wir drücken uns nicht davor, ambitioniert zu sein. Auch wenn es immer abgedroschen klingt: Wir wollen uns auf allen Ebenen, die einen Fußballverein ausmachen, weiterentwickeln und verbessern. Da wird Schulle und mir nicht langweilig, wenn wir das vorantreiben wollen."

…die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Etat:

Andreas Bornemann: "Natürlich hat das einen Einfluss. Wie bei anderen Vereinen wird es auch bei uns so sein, dass wir mit einem reduzierten Etat in die neue Saison gehen werden. Rückblickend hat sich die Entscheidung, Mats Møller Dæhli im Winter 2020 zu verkaufen, als Glücksfall erwiesen. Dadurch konnten erhebliche Lücken im Jahresabschluss des Vereins geschlossen werden."

…mögliche Wunsch-Spieler für die kommende Saison:

Timo Schultz: "Ich habe meinen Job für mich so definiert, dass ich mit den Spielern arbeite und die Spieler vorwärtsbringe, die hier sind. Das ist mein Job, egal ob sie ausgeliehen oder fest bei uns sind. Wir würden uns natürlich nicht dagegen wehren, wenn wir von den Leihspielern welche zurückbekommen würden. Aber da sitzen wir nicht am längeren Hebel. Wir sind in engem Austausch, was Neuzugänge angeht, und in enger Absprache zu allen Spielern, die bei uns sind. Unsere Position, wo wir Handlungsbedarf sehen, haben wir vor Wochen definiert. Wir sind einen Schritt weiter, wenn wir perspektivisch die Position von Rodrigo besetzt bekommen. Wir haben viele gute Jungs, denen wir nächstes Jahr auch den nächsten Schritt zutrauen, sodass es nicht einfach wird, bessere Spieler zu finden. Wir machen alles in Ruhe und mit Überzeugung und im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten. Bislang haben wir im Hintergrund gute Arbeit geleistet. Unsere Basis ist sehr stabil, wenn wir hier noch ein paar i-Tüpfelchen drauflegen können, haben wir einen schlagkräftigen Kader. Dann geht der Prozess von vorne los und wir starten nächstes Jahr in einer sehr attraktiven Liga und da werden wir uns wieder neu einsortieren müssen und unseren Fokus auf das Training legen."

…die Spiele ohne Fans und deren Rückkehr in die Stadien:

Timo Schultz: "Als Cheftrainer habe ich am Millerntor nichts anderes erlebt. Ich bin aber schon 15 Jahre hier und weiß, dass bei den Spielen gegen Darmstadt mit der irren Schlussszene und gegen den HSV mit Kofis spätem Siegtreffer das Dach abgehoben wäre. Mir tut es für die Jungs, die nur ein halbes Jahr oder Jahr bei uns waren, leid. In der Hinserie mit einigen Unentschieden und knappen Niederlagen hätten uns unsere Fans deutlich helfen können. Es wäre natürlich überragend, wenn es in der neuen Saison wieder mit Fans losgehen würde. Wir müssen es nüchtern und realistisch betrachten, dass es nicht in unserer Hand liegt. Es gilt abzuwarten, wie die Bundesregierung und die Ämter entscheiden werden. Wir alle hoffen natürlich, dass die Zuschauer*innen wieder dabei sein können."

Andreas Bornemann: "Jeder, der ein ausverkauftes Millerntor miterlebt hat, weiß, was für eine unglaubliche Energie es geben kann. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass uns diese Umstände die ganze Spielzeit so begleiten würde. Umso schwerer tue ich mich, einen Ausblick zu wagen. Natürlich wird das nicht auf großen Zuspruch in den Fanszenen stoßen, aber man kann es fast schon als Idealsituation bezeichnen, wenn zum Saisonstart in einem gewissen Umfang wieder Zuschauer*innen dabei sein können. Wir hoffen alle und ich wünsche es mir sehr, schnell wieder vor Fans spielen zu dürfen."

(ch)

Fotos: Witters

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