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"Deswegen braucht es vor allem eine zeitgemäße Darstellung der Gesellschaft"

Spricht man über Rassismus im Fußball, denken viele an Neonazis, die rassistische Parolen brüllen, in großer Anzahl in der Kurve stehen und mit Gewalt Einfluss auf andere Fans nehmen. Doch die Zeiten haben sich verändert. Wir sprachen mit dem Journalisten und Autor Ronny Blaschke über Rassismus im Fußball. Im zweiten Teil unseres Interviews geht es um rassistische Stereotypen, strukturellen Rassismus und um Möglichkeiten für Veränderungen.

Neben den offenkundigen Rassismus, der von der Mehrheit der Menschen auch als solcher erkannt wird, ist die Nutzung von rassistischen Stereotypen und Beschreibungen, oftmals in den Medien, noch alltäglich. Wie kommt es, dass wir noch immer bewusst oder unbewusst Klischees benutzen, um Dinge zu umschreiben?

Es ist ein neurologischer Prozess, dass wir nach Dingen suchen, die unsere Gedanken, Einstellungen und Vorurteile bestätigen. Wenn wir uns selbst hinterfragen, muss das Gehirn schon wesentlich mehr arbeiten. Wenn wir auf die Kolonialgeschichte schauen, in der über Jahrhunderte Millionen Menschen aus Afrika ausgebeutet wurden. Das spürt man in Ländern wie den USA oder Großbritannien heute noch. Schwarze Menschen werden oftmals in der Bildung oder auch bei der Jobvergabe klar benachteiligt. Gleichzeitig sind sie in Gefängnissen überrepräsentiert. Es ist krass, wie das nachwirkt. Das prägt unsere Vorstellungen. Man muss sich selbst beobachten, wie man auf bestimmte Dinge reagiert. Alles ist irgendwie in uns. Der Fußball ist eine Bühne, auf der es deutlich wird.

Hast Du Beispiele dafür?

Wenn ich durch meine Redaktion gehe, gibt es kaum schwarze Sportjournalisten oder Journalisten mit arabischer Herkunft. Schaut mal bei Euch in der Geschäftsstelle, wie es da aussieht. Laut einer Studie verbinden Fußballkommentatoren schwarze Fußballer eher mit Kraft und Athletik und weiße Spieler mehr mit Spielintelligenz und Disziplin. Das Körperliche ist also bei den schwarzen Spielern und die Intelligenz bei den weißen Spielern verortet. Das ist ein starkes Klischee. Vor einigen Jahren, während der WM 2010, hat ein deutscher Sportartikelhersteller Samuel Eto‘o in einem Werbespot als sehr explosiven Spieler dargestellt, in dem er gegen einen Löwen gekämpft hat. Auch das ist strukturell rassistisch, weil da wieder der kraftvolle und athletische Spieler ist. Gleichzeitig können es nur weiße europäische Trainer sein, die bei afrikanischen Nationalteams die Heilsbringer sind. Das ist noch dieses neokoloniale Bild, das sich festsetzt. Auch das kann man aber weniger skandalisieren, weil es keinen spektakulären offenen Rassismus gibt.

Hier sprechen wir nicht nur von einem fußballspezifischen Problem.

Absolut. Unternehmen und Konzerne sind da aber fast schon etwas progressiver und gehen dagegen vor. In den USA zum Beispiel gibt es viele Menschen, die glauben, dass afroamerikanische Basketballer höher springen können als ihre weißen Kollegen. Oder dass Langstreckenläufer aus Kenia aus genetischen Gründen eine bessere Ausdauer haben als Europäer. Es hat aber keine biologischen Gründe. Wenn überhaupt, dann soziale oder kulturelle. Vielleicht finden Menschen in Kenia den Laufsport besser, weil es für andere Sportarten kein Material oder keine Struktur gibt. Basketball ist in den USA eine Popkultur und hat gewisse historische und soziale Faktoren, die man auch oft in Filmen oder der Musik sieht. Darüber sollte man eher nachdenken und nicht darüber, dass wir uns alle genetisch unterscheiden. Das tun wir nicht.

"Deswegen braucht es vor allem eine zeitgemäße Darstellung der Gesellschaft."

Wie kann man Denkweisen verändern und versuchen, Menschen versuchen zu erreichen?

Im Fußball und Sport ist es oft so, dass sich viele Spieler und Fans bevormundet fühlen. Sie wollen nicht immer mit politischer Bildung konfrontiert werden. Sie wollen vermehrt ihren Sport ausüben. Mit Kampagnen, Broschüren oder Workshops ist es schwer. Deswegen braucht es vor allem eine zeitgemäße Darstellung der Gesellschaft und eine Abbildung, wie sie ist. Das muss gefördert werden und hier sollte auch eingegriffen werden. In den USA gibt es die sogenannte 'Rooney Rule', die besagt, dass, wenn ein Trainerposten frei wird, auf jeden Fall ein Kandidat oder eine Kandidatin einer ethnischen Minderheit zum Gespräch eingeladen wird. Seitdem hat sich auch die Zahl der schwarzen Trainer erhöht. Manche nennen das positive Diskriminierung, aber ich finde, das ist zumindest diskussionswürdig. Wenn eine Ausgrenzung über Jahrhunderte vorlag, muss man Normalität auch etwas anschieben. Das geht dann mit Stipendien oder Quotierungen. Hier sträuben wir uns zurzeit aber noch. Es wird oft gesagt, das ist alles eine natürliche Entwicklung, aber das würde sehr lange dauern.

"Wenn eine Ausgrenzung über Jahrhunderte vorlag, muss man Normalität auch etwas anschieben."

Das geht ja wahrscheinlich in die gleiche Richtung wie jetzt zum Beispiel vielerorts die Frauenquote, die es braucht, um Veränderungen voranzutreiben.

Das war in der Wirtschaft schon ein Erfolg, dass die Aufsichtsräte für freiwerdende Posten Frauen vorsehen. Studien zeigen, dass je diverser und je gemischter, desto größer der Erfolg und die Umsätze. Es entstehen gesündere Strukturen. Leider muss man im Fußball so argumentieren. Es kann nicht immer um Ideale gehen. Es ist ein Wirtschaftszweig, der auch so organisiert werden muss. Soziales, Sponsoring und Geld verdienen müssen sich aber nicht ausschließen. In Norwegen gab es eine Quotenregelung für Frauen, dass zwei Frauen in den Vorstand sollten, weil eine Frau oft als Alibi galt und sich alle darauf fokussiert haben und die strukturellen Veränderungen zu kurz kamen. Zwei Frauen haben dafür gesorgt, dass immer mehr dazukamen, es normal und sichtbar wurde.

Wie lange kann sich der Fußball noch dagegen 'wehren', die Gesellschaft in seinen Unternehmensstrukturen abzubilden?

Es wundert mich, dass er schon so lange damit durchkommt und wahrscheinlich wird er auch noch länger damit durchkommen. Aus ganz unterschiedlichen Gründen haben wir uns ja schon mehrfach einen alternativen Fußball gewünscht. Robert Hoyzer und der Wettskandal. Der Fall Robert Enke. Die Diskussion um die Geflüchteten. Aus unterschiedlichen Gründen haben wir gesagt, wir brauchen einen neuen Fußball. Das war auch der Tenor vor einem Jahr während Corona. Damals gab es noch sehr laute Rufe nach Reformen. Ich glaube, dass der Fußball jetzt wieder damit durchkommt. Es geht auch ohne Zuschauer*innen und die große Implosion ist noch weit weg. Natürlich sinken die Fernsehquoten, aber trotzdem läuft das Geschäft weiter. Deswegen bin ich skeptisch. In meinen Augen braucht es externe Kontrolle. Die Politik sollte sich das angucken und Bedingungen aufstellen, wenn mal wieder eine Bürgschaft gefragt ist oder die Übernahme von Sicherheitskosten. Das kann man an Bedingungen knüpfen. 'Macht mehr für Eure Stadtgesellschaft, lasst Euch beraten und geht intensive in Euch'. Das sehe ich gerade nicht.

Das wäre dann der Fußball als sozialer Akteur.

Absolut. Es reicht nicht, wenn das wenige Hospitanten oder das Marketing das machen. Da wäre es schön, wenn es Abteilungen gibt. Wir sprechen zwar über den offenen Rassismus, aber es muss alles auf den Tisch. Auf welche Sponsoren lässt man sich ein, welche Partner hat man, in welche Trainingslager fährt man. Wo lässt man die Trikots produzieren? Das zum Beispiel passiert oft in asiatischen Niedriglohnländern, wo Näherinnen und Näher ausgebeutet werden. So wird Rassismus indirekt gefördert. Es ist ja nicht alles sichtbar und hörbar. Welche Security haben wir im Stadion und welche Firmen vertreiben unsere Fanartikel? Auch die UN und andere große Player sagen, man kann nicht alles ausschließen oder verhindern, aber man sollte es reduzieren und sich darüber Gedanken machen. Es geht darum, alle möglichen Interessengruppen frühzeitig miteinzubeziehen und einen Querschnitt in der Klub-Struktur zu schaffen, um eine Debatte über diese Themen zu ermöglichen. Wenn man sich auf das System Fußball einlässt, muss man davon ausgehen, dass irgendwo Menschen zu Schaden kommen. Sonst sollte man sich ein neues Hobby suchen.

In den vergangenen Jahren und Monaten wurde immer wieder deutlich, dass Rassismus nicht nur an Spieltagen ein Thema ist. Das Internet wird zum immer größeren Faktor. Verschiebt sich hier ein Schauplatz?

Wir sollten das nicht trennen. Selbst wenn man Leute aus dem Stadion werfen würde, dann würden sie mit ihren Einstellungen in der Gesellschaft bleiben. Die Fußballfans sind ja auch Bürger*innen, Schüler*innen oder Studierende, die in der Stadtgesellschaft sind und sich vielleicht woanders rassistisch äußern. Deswegen sollte man in einer Stadtgesellschaft zusammen denken. Fußball, die mobile Beratung gegen Rechts, Gewerkschaften, Kirchen und so weiter. Man spricht ja über Menschen einer Stadt. Natürlich ist Internet ein großes Thema. Ich glaube, dass wir in einigen Jahrzehnten zurückschauen und uns fragen, ob wir eine große Chance vertan haben. Leute wie Donald Trump oder auch andere wären ohne soziale Medien nicht möglich gewesen. Da muss man regulieren und eingreifen. Ich gehe nicht so weit und sage, dass man Facebook enteignen muss, aber man muss politisch draufschauen. Es ist so enorm, was da passiert und wie sich Leute dort äußern, sich vernetzen, sie Mut gewinnen und was für Verschwörungstheorien dort verbreitet werden. Leute ohne Medienkompetenz glauben das und darauf fußt dann ihre Einstellung. Auf der anderen Seite können Fußballer*innen ihre Prominenz nutzen, um für einen verantwortungsvollen Medienkonsum einzutreten. Ich glaube, es gibt nur wenige, die so viele Menschen über das Internet erreichen wie Fußballer*innen und Vereine. Darin liegt eine große Chance, die noch nicht ausreichend genutzt wird.

Reichen Kampagnen wie 'Rote Karte gegen Rassismus', um das Thema ausreichend in den Fokus zu rücken. Wie schätzt Du plakative Botschaften grundsätzlich ein?

Es ist ein Mindeststandard, um Menschen zu erreichen und ein Zeichen zu setzen. Wenn man die Sprache aber genauer betrachtet, ist sie oft sehr allgemein und vage gehalten und wirkt Alibi-mäßig, um später sagen zu können, wir haben damals etwas gemacht. Ich würde sogar noch weiter gehen. Wenn sogar DFB und DFL zum Beispiel 'Black Lives Matter' in ihre eigene PR miteinbeziehen, dann kann irgendwas nicht stimmen. Wenn man hört, wie sich Funktionäre oder Aufsichtsratchefs tatsächlich rassistisch äußern und unterschwellig auch homophob äußern, dann gibt es in der Branche nicht so einen großen Aufschrei. Man hält noch eher zusammen. Symbolik ist nur sinnvoll, wenn es inhaltlich unterfüttert wird. Wenn es bei den plakativen Schlagzeilen bleibt, kann es ja auch dem unwissenden Publikum sagen, dass sie sich um das Thema gar nicht mehr kümmern müssen, weil es andere bereits tun. Grundsätzlich hilft es, sich zu vergewissern, dass man auf der moralisch richtigen Seite steht. Es tut mehr weh zu sagen, dass man als weißer Journalist oder Trainer mehr Chancen hat als talentiertere schwarze Kollegen. Was sind wir bereit abzugeben? Darüber sollten wir nachdenken. Diese Debatte sehe ich im Fußball gar nicht.

Was ist Deine Hoffnung für den Fußball?

Ich wünsche mir einen Fußball, der Spaß macht und in dem sich jede*r aufgehoben fühlt. Ich frage mich immer noch, warum in Städten wie München, eine Stadt, in der 30 bis 40 Prozent der Menschen eine Einwanderungsbiographie haben, diese Menschen so wenig in den Ultra-Kurven sind. Da muss es ja einen Grund für geben, warum sie sich da nicht wohlfühlen. Ich wünsche mir einen Fußball, der stolz auf seine politische Kraft ist, seinen Einfluss hergibt, sich beraten lässt und auch mal Fehler zugibt. In Großbritannien oder den USA gibt es Netzwerke und es ist differenzierter als bei uns. Wir kommen so ein wenig über das Aktionistische nicht hinaus. Darüber hinaus, dass wir selbstkritisch sind, sollten wir aber auch nicht immer zu selbstkritisch sein. Es gibt kein Land, in dem Fußballfans so gut organisiert sind und sich so stark einbringen. Vielleicht neigt man als Journalist auch eher dazu, die Dinge kritisch zu betrachten.

 

(lf)

Fotos: Witters / Sebastian Wells

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