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Interview mit Claudia Roth: Grüne Welle in Braun-Weiss

Keine Wegwerfprodukte und keine Fast Fashion mehr: Der FC St.Pauli produziert seine komplette Teamsport-Kollektion ab sofort selbst. Und das komplett nachhaltig. Wir sprachen mit der Bundestagsvizepräsidentin und Vorreiterin ökologischer Politik, Claudia Roth, über diesen zukunftsweisenden Schritt in Sachen Textilproduktion und warum sie den FC St. Pauli auch aus der Ferne in Berlin und ihrer Heimatstadt Augsburg unterstützt.

Liebe Frau Roth, vielen Dank dass Sie sich Zeit nehmen für dieses Gespräch. Vorweg einmal: Wie geht es Ihnen, wir leben in schwierigen Zeiten?

Claudia Roth: "Es sind in vielerlei Hinsicht besondere Zeiten, wir stehen vor Herausforderungen, die uns mit einer Heftigkeit treffen, die wir so bisher nicht gekannt haben. Für viele Menschen war dies ein schweres Jahr begleitet von Ängsten, Trauer, Einsamkeit. Nicht nur das soziale Miteinander hat gelitten, auch die wirtschaftliche Dimension trifft viele Menschen hart. Auch der Sport, der genauso wie die Kultur einen wichtigen Beitrag für unser Zusammenleben leistet, leidet sehr in diesen Tagen. Gleichzeitig erleben wir ganz neue Formen der Solidarität, des sich Begegnens und Unterstützens, die Hoffnung machen."

Sie sind schon seit einigen Jahren passives Mitglied im FC St. Pauli. Warum das?

Claudia Roth: "Gegenfrage: Wie kann man nicht Mitglied bei St. Pauli sein? Der Verein steht für eine großartige Fankultur, Leidenschaft und mischt sich ein, in der Liga und in der Gesellschaft. Außerdem kann man mit St. Pauli als Fan noch richtig leiden beim Auf- und Ab durch die Liga. Aber die Stimmung beim Derby gegen den HSV entschädigt tausendmal."

Wir gehen nun einen völlig neuen Weg im Bereich Textilien und produzieren die gesamte Sportkollektion fair & nachhaltig. Wie finden Sie das?

Claudia Roth: "Das ist progressiv, mutig, visionär, einfach großartig und dafür sage ich vielmals Dankeschön. Wir alle kennen die Bilder der schlimmen Produktionsbedingungen in der Textilwirtschaft. Es ist unheimlich wichtig, dass der FC St. Pauli statt wegzuschauen gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, nicht nur für das, was hier in Deutschland hergestellt wird, sondern für die gesamte Lieferkette."

Es gibt immer wieder die Forderung, dass Sport (Fußball) und Politik zu trennen seien. Wie denken Sie darüber?

Claudia Roth: "Sport ist immer auch politisch! Das reicht von der Diskussion um eine Fußball-WM in Katar, einem Land, das nicht nur in menschenrechtlicher Hinsicht für die Durchführung einer WM denkbar schlecht geeignet ist, bis hin zum Engagement von St. Pauli. Ein Verein, der klare Kante gegen Rechtsextremismus zeigt. Allein der Schriftzug 'Kein Fußball den Faschisten' auf jedem Trikot ist ein deutliches politisches Statement. Die hohe gesellschaftspolitische Dimension des Sports und gerade auch des Fußballs zu verkennen, wäre ignorant und fahrlässig."

So sieht das Wunsch-Trikot von Claudia Roth aus.

So sieht das Wunsch-Trikot von Claudia Roth aus.

Warum sollte es nicht nur beim FC St. Pauli so bleiben, seine Lieferketten nachhaltig umzubauen und inwiefern ist dieser Schritt zu einer nachhaltigen Kollektion auch ein politisches Statement?

Claudia Roth: "Eigentlich hätte längst im Deutschen Bundestag ein Lieferkettengesetz verabschiedet werden sollen, mit dem es zu klaren politischen und menschenrechtlichen Rahmenbedingungen gekommen wäre. Leider zögert die Union dieses Gesetz hinaus. Daher ist es umso wichtiger, wenn ein Verein wie St. Pauli vorbildhaft handelt, vorangeht und so einen bedeutenden, nachhaltigen Schritt von selbst macht. Es wäre wichtig, wenn jetzt andere Vereine nachziehen und ihre Trikotproduktion ebenfalls umstellen. Diese Entscheidung vom FC St. Pauli führt hoffentlich zu höherem politischen Druck auf die anderen Vereine und die Politik - und hoffentlich bald zum bundesweiten Lieferkettengesetz."

Wie sehr ist die Politik beim Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel auf das Engagement von Wirtschaft und Zivilgesellschaft angewiesen?

Claudia Roth: "Es geht nur gemeinsam! Schon 1992 wurde auf Ebene der Vereinten Nationen die Agenda 21 für nachhaltige Entwicklung beschlossen, um zu einer veränderten Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik zu gelangen. In der Folge entstanden vor Ort 'Lokale Agenda 21 Prozesse' mit intensiver Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Ohne die Fridays for Future Aktivist*innen weltweit gäbe es wahrscheinlich bis heute nicht ein solch großes Augenmerk auf die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise und den Druck auf die Regierungen weltweit, das Pariser Klimaabkommen ambitioniert umzusetzen. Echten Klimaschutz und Nachhaltigkeit erreichen wir nur unter Einbeziehung aller Akteure. Jede und jeder kann heute beginnen einen Beitrag zu leisten, so wie der FC St. Pauli."

Bis zum 31. Dezember ist es möglich, sein Trikot zu individualisieren und z.B. seinen Namen aufs Trikot zu flocken. Was steht bei Ihnen vorne drauf?

Claudia Roth: "Eigentlich war meine Idee 'LeaveNoOneBehind', ist leider zu lang. Darum: 'Gutmensch'."

Liebe Frau Roth, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen ein frohes Weihnachtsfest!

 

Fotos: Stefan Kaminski, J. Konrad Schmidt

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