NLZ-Kiezkicker an der KZ-Gedenkstätte in Neuengamme: „Hat Eindruck hinterlassen“
Dienstag, 08. Oktober 2019, 16:00 Uhr
Es ist zum ersten Mal richtig kalt in Hamburg. Unter dem Gefrierpunkt. Die bedrückende Stimmung, die dieser Oktobermorgens verbreitet, passt irgendwie zu dem Thema, mit dem die Kiezkicker der U16 bis U23 am Montag (7.10.) konfrontiert sind. In einem Doppeldeckerbus startet die Reise zur KZ Gedenkstätte in Neuengamme. Die Konfrontation mit der dunklen Vergangenheit Deutschlands.
Die Nachwuchsspieler trudeln nach und nach am Millerntor ein. Alles erinnert an das Treffen vor einem Ligaspiel: Begrüßung per Handschlag, das St. Pauli Wappen auf der Brust und eine leichte, aber spürbare Anspannung. Letztere hat ihren Ursprung aber in dem tatsächlichen Ziel der Fahrt, die das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) organisiert hat und die Nachwuchsspieler zur KZ Gedenkstätte Neuengamme führt.
Das Konzentrationslager in Neuengamme war ein Ort, an dem über 100.000 Opfer des Nationalsozialismus wurden. Es war von 1938 bis 1945 das größte Konzentrationslager Nordwestdeutschlands. In der Nachkriegszeit funktionierte die Stadt Hamburg das Gelände um und errichtete dort zwei Gefängnisse, die erst 2003 bzw. 2006 geschlossen wurden. Erst im Mai 2005, zum 60. Jahrestag der Befreiung, wurde eine neue Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Häftlingslagers eröffnet.

Die Pädagogische Leiterin Stephanie Goncalves Norberto mit ein paar einleitenden Worten: Dann starteten die Führungen jeweils mit einem Guide pro Mannschaft.
Und da stehen nun knapp 90 junge Kiezkicker gemeinsam mit ihren Trainern. Die Gruppe wird aufgeteilt. Jede Mannschaft wird mit jeweils einem Guide über die Anlage geführt. Eine Videoeinführung, mit der Guide Georg die U19 auf den Gang über die Anlage einstellt, lässt den Schmerz und das Leid der Menschen erahnen. Unsere Nachwuchsspieler sind gut informiert, haben viel Wissen über das Konzentrationslager und den Nationalsozialismus mitgebracht. Und doch steht ihnen unvorbereitet das erdrückende Gefühl ins Gesicht geschrieben, als Georg von den grausamen Todesfällen erzählt. Direkt dort, wo die Gruppe nun im Warmen mit Sportschuhen und Trainingspulli steht.
Die Menschen wurden misshandelt, lebten in ständiger Angst, verhungerten und wurden ermordet. "Es ist schon krass, vor Augen geführt zu bekommen, was die Menschen durchmachen mussten", sagt U23-Spieler Cemal Sezer. "Allein, dass hier 100.000 Menschen an diesem Ort gefangen waren, von denen die Hälfte gestorben ist und teilweise nicht mal die Namen bekannt sind, ist einfach schwer zu hören gewesen."

Die U19-Kiezkicker Julius Jarchow, Christopher Grünewald, Gustavo Melo, Sidnei Djalo und Louis Jacobs (v.l.n.r.) über einer Miniaturnachbildung des Geländes.
Die Fußballer gehen interessiert durch die Ausstellungen, lesen die Biographien der Überlebenden und hören sich die Hörbeispiele und Kurzfilme an. "Wir wollen, dass sich die Jungs mit dem Thema auseinandersetzen, was uns meiner Meinung nach erfolgreich gelungen ist", erklärt die Pädagogische Leiterin des NLZs Stephanie Goncalves Norberto. "Ich glaube, dass es einen Unterschied zwischen dem Frontalunterricht in der Schule und dem tatsächlichen vor Ort sein gibt. Das ist an den Jungs nicht spurlos vorbeigegangen und hat Eindruck hinterlassen."
Einen bemerkenswerten Abschluss fand der Tag im Haus des Gedenkens. An den rot bemalten Wänden hängen weiße Schriftrollen herunter, auf denen die Namen der über 20.000 bekannten Todesopfer aufgelistet sind. Tag für Tag. "Darüber nachzudenken, wie viele Menschen dort gestorben sind, ist schon schockierend", sagt Silas Rathay, der als Spieler der U16 zu den jüngsten Teilnehmern der Exkursion gehörte. "Wir kennen viel davon aus der Schule, aber ich fand es sehr lehrreich auch einmal alles bildlich zu sehen."

Lasse Sortehaug (U19) schaut sich in der Ausstellung einen Kurzfilm an.
Der Besuch der Gedenkstätte war die zweite Runde der NLZ-Workshopreihe "Haltung zeigen". "Ich bin froh, dass heute ein guter Austausch stattgefunden hat", erklärt Goncalves Norberto. "Wir haben weitere Ideen und sind schon mit einer Organisation im Austausch." Für den FC St. Pauli zu spielen, soll nicht nur bedeuten, das Wappen auf der Brust zu tragen, sondern auch die Werte des Vereins in seinem Herzen zu verinnerlichen. Und genau diese Werte möchte das Nachwuchsleistungszentrum seinen Talenten rechtzeitig mit auf den Weg geben, so dass barbarische Einrichtungen wie das KZ Neuengamme nie wieder errichtet werden.
(ms)
Fotos: FC St. Pauli