„Intensive Detektivarbeit“: Interview zur Max-Kulik-Ausstellung im FC St. Pauli-Museum
Freitag, 23. Juni 2023, 14:10 Uhr
Seit dem 16. Juni 2023 ist im FC St. Pauli-Museum eine faszinierende neue Sonderausstellung zu sehen – immer freitags von 15 bis 19, sonnabends von 11 bis 19 und sonntags von 10 bis 15 Uhr: „Fußball. Flucht. Exil“ erzählt vom dramatischen Leben des Fußballers und Arztes Max Kulik. Grundlage der Ausstellung ist die Forschungsarbeit eines dreiköpfigen Teams. Wir sprachen mit Celina, Christopher und Thomas über ihre Arbeit und die Hintergründe der Ausstellung.
Mit der aktuellen Sonderausstellung über Max Kulik ist Euch die erste Rekonstruktion der Biografie eines jüdischen Fußballers im FC St. Pauli (bzw. in dessen direktem Vorgängerverein) gelungen. Wie seid Ihr auf Max Kulik aufmerksam geworden ?
Ein wichtiger Startpunkt war die Ausstellung „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“ der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die 2016 im Hamburger Rathaussaal gezeigt wurde und deren Dokumentation weiterhin als gedruckter Ausstellungskatalog und auch online verfügbar ist. Dort wird auf einer Tafel über jüdische Mitglieder des Eimsbütteler Turnverbands ein „engagiertes Mitglied des ETV“ namens Max Kulik genannt. Als wir dann entdeckten, dass genau dieser Max Kulik vor seiner Zeit beim ETV im Hamburg-St. Pauli Turnverein aktiv war, beschlossen wir, der Sache nachzugehen. Denn der Hamburg-St. Pauli Turnverein war bekanntlich der direkte Vorgänger des FC St. Pauli; bis 1924 spielten auch die braun-weißen Fußballer in diesem Verein und unter diesem Namen.
Ein Leben zu rekonstruieren ist eine aufwändige Sache. Wie seid Ihr dabei vorgegangen?
Das war eine intensive Detektivarbeit. Es gibt nicht das eine Buch, den einen Artikel, der alles zusammenfasst. Stattdessen: Viele kleine Notizen und Erwähnungen in Zeitungsartikeln, private Aufzeichnungen und Briefe, Hintergrundinformationen in Büchern und diversen Archiven, neben unserem eigenen vom FC St. Pauli-Museum zum Beispiel im Hamburger Staatsarchiv und im Archiv des Eimsbütteler TV, der sehr offen und hilfsbereit für unsere Forschungen war. Auch der Austausch mit Wissenschaftler*innen und Fachleuten wie Frauke Steinhäuser, Claudia Bade und Jörn Kreuzer hat uns geholfen. Stück für Stück und über Monate hinweg fügte sich das Puzzle zusammen – sodass die Besucher*innen unserer Ausstellung sich ein zusammenhängendes Bild von Max Kulik und seinem Leben machen können.
Wie habt Ihr Max Kuliks sportliche Karriere nachgezeichnet?
Dafür waren zeitgenössische Sportzeitungen und -zeitschriften sehr wichtig. Das FC St. Pauli-Museum konnte im Rahmen des Forschungsprojekts „FCSP prä 1945“ einen größeren zusammenhängenden Bestand erwerben, der sich als enorm hilfreich für unsere Recherchen herausstellte. An dieser Stelle vielen Dank an KIEZHELDEN für die Projektunterstützung - und natürlich die Mitglieder und Unterstützer des Museumsträgers 1910 e.V., die solche Käufe möglich machen! Wir sind dann die enthaltenen Spielberichte akribisch durchgegangen und konnten anhand von diversen Erwähnungen immer mehr über Max Kuliks sportliche Karriere in Erfahrung bringen.
Welche Erkenntnisse waren für Euch besonders überraschend oder bewegend?
Es gab viele Momente, bei denen uns klar wurde, welche erschütternden Zusammenhänge sich hinter ganz kleinen, nüchtern formulierten Einträgen auf Karteikarten oder Bemerkungen in Zeitungsartikeln verbergen können. So stand in einem Spielbericht etwa, das Max Kulik eine Begegnung vorzeitig verlassen hätte. Später fanden wir den Grund heraus: Er hatte während des Spiels vom Tod seines Vaters erfahren. Dieses Spiel war sein letztes Punktspiel als aktiver Fußballer.
Gibt es lebende Zeitzeugen, die von Max Kulik erzählen können? Seid Ihr ihnen begegnet?
Es gibt tatsächlich direkte Verwandte, und es ist eine besondere Ehre für uns, dass wir sie kennenlernen durften. Wir haben Max Kuliks Nichten in einem Videocall interviewt. Sie leben inzwischen in den USA, wo Max Kulik auch das letzte Viertel seines Lebens verbrachte. Eine der beiden Nichten, Jane, wird uns im August zusammen mit ihrem Mann besuchen. Wir freuen uns sehr darauf!
Werdet Ihr weitere Lebensläufe rekonstruieren? Kann man schon etwas darüber erfahren?
Wir sind bei unseren Recherchen auf rund 150 jüdische Mitglieder gestoßen, die im Hamburg-St. Pauli Turnverein tätig waren. Davon lassen sich nach unseren Schätzungen ca. 30 bis 40 Lebensläufe rekonstruieren. Das möchten wir sehr gern tun, denn das Beispiel Max Kuliks zeigt, wie wertvoll diese Arbeit sein kann.
Wie lange wird die Sonderausstellung zu sehen sein?
Mindestens bis zum 27. August. Eine Verlängerung ist denkbar, aber nicht sicher – wer die Ausstellung also nicht verpassen möchte, sollte sich am besten bald auf den Weg machen!
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Links zum Thema:
- Podcast zur Ausstellung (Sonderfolge der FCSP-Geschichten) mit Gast Frauke Steinhäuser:
- Ausstellungsseite auf fcstpauli-museum.de
- Mitglied werden, FCSP-Museum unterstützen
- Digitalausstellung „Fußball in Trümmern. FC St. Pauli im ‚Dritten Reich‘“
Text: 1910 e.V.
Fotos: Miguel Ferraz Araújo