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"Es bleibt weiterhin wichtig, gegen Diskriminierung aufzustehen"

Wir haben uns zum heutigen Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (jedes Jahr am 17. Mai) mit unserem Stürmer Simon Makienok unterhalten. Dabei ging es nicht nur um das Thema Vielfalt, sondern auch um Gefühle im Fußball, um soziale Medien und um Individualität und Werte. 

Moin Simon! Als Du ans Millerntor gewechselt bist, sagtest Du, dass Du die Werte des FC St. Pauli teilst. Für welche Werte steht Simon Makienok?

Es geht für mich vor allem um Toleranz für jeden Menschen egal welchen Geschlechts oder Herkunft. In meinem Kopf sehe ich keine Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen. Für mich ist es ganz egal, ob du weiß oder schwarz bist, Christ oder Muslim, homo oder hetero oder ob du dich zu keinem Geschlecht zugehörig fühlst. Für mich ist es wichtig, diese Werte zu zeigen und dafür einzustehen. Darauf möchte ich meinen Fokus legen, sodass noch mehr Menschen darauf aufmerksam werden. Es gibt so viele verschiedene Menschen, Religionen, Hautfarben und so weiter – da sollte einfach kein Unterschied gemacht werden, wie diese Menschen betrachtet werden. Das ist ein für mich sehr wichtiger Wert, auch wenn es darum geht, wie ich selbst andere Menschen wahrnehme.

Du sagst, dass Du zeigen möchtest, für welche Werte Du einstehst. Wenn man Euch in den sozialen Netzwerken verfolgt, wirkt es so, dass Deine Freundin Ida und Du diese Werte dort häufig kommunizieren. Engagiert Ihr Euch auch über Social Media hinaus für diese Themen?

Wir haben viele homosexuelle Freund*innen in Dänemark. Dort gibt es a17. Mai immer eine Gay-Pride-Parade, bei der viele unserer Freund*innen jedes Jahr mitfeiern. Da sind wir normalerweise auch gerne mit dabei. Vielleicht können wir ja in Hamburg mal an so einer Aktion teilnehmen, sobald das wieder möglich sein wird. Was Social Media betrifft, haben wir das Gefühl, dass es wichtig ist, wenn du eine Plattform hast, diese auch zu nutzenum Menschen auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen. Über diese Themen zu schreiben oder mal etwas zu reposten, ist etwas, was wir oft machen. Ich denke, dass es vor allem für jüngere Menschen in unserer Generation der meistgenutzte Weg ist, sich auszudrücken. Und dann geht es schließlich vor allem darum, wie du diese Werte im Alltag behandelst. Wenn du zum Beispiel neue Leute triffst oder dich mit anderen unterhältst, dass du dabei immer überlegst, was du sagst und wie du dich ausdrückst.  

 

"Ich versuche immer, dagegen aufzustehen und etwas zu sagen."

Was waren denn über die letzten Jahre für Dich Berührungspunkte mit diesen Themen? Hast Du da konkrete Erfahrungen gemacht?

In letzter Zeit kann ich mich an keine Situation erinnern, in der ich direkt damit konfrontiert wurde. Grundsätzlich glaube ich aber schon, dass diesbezüglich häufig etwas passiert. Zum Beispiel wenn es um Sprache geht. Es ist doch oft immer noch so, dass Leute gegenüber ihren Kumpels im Streit gewisse Worte in einem negativen Kontext benutzen und diese zum Beispiel als „homo“ bezeichnen. Oder auch Männer, die beispielsweise das Wort „Pussy“ als Schimpfwort benutzen. Das erlebe ich schon noch sehr oft, auch meine Freund*innen erzählen so etwas häufig. Ich finde das traurig, dass Menschen im Jahr 2021 in so einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft teilweise immer noch so denken und diese Dinge in einen negativen Zusammenhang stellen. Wenn ich in so einer Situation bin oder so etwas höre, versuche ich immer, dagegen aufzustehen und etwas zu sagen.

Was sagst Du in so einer Situation?

Zum Beispiel frage ich, warum derjenige diese Worte in einem negativen Zusammenhang benutzt. Ich glaube, dass viele Leute einfach gar nicht darüber nachdenken und die Worte vielleicht auch am Ende nicht so meinen, sie aber dennoch so benutzen. Im dänischen haben wir ein Wort, das heißt „hygge“ und bedeutet so etwas wie „aus Spaß“ oder „easy going“. Eigentlich benutzen wir das Wort häufig für alles Mögliche, für sich genommen ist der Begriff auch gar kein Problem. Allerdings gibt es das auch im Zusammenhang mit Rassismus oder Homo-Feindlichkeit, also beispielsweise „Hygge-Rassismus“, wenn also etwas eigentlich nur im Spaß gesagt wird und gar nicht böse gemeint sein soll. Trotzdem kann es aber Menschen verletzen und ist nicht richtig.

Du kommst aus Dänemark, hast aber während Deiner Karriere schon in zahlreichen Ländern gespielt. Hast Du mit Blick auf Toleranz und Vielfalt in den einzelnen Ländern Unterschiede in der Kultur erlebt?

Ja, ich denke schon. Vor allem in England kann es manchmal sehr hart sein, zum Beispiel was die Wortwahl angeht. Ich bin aber der Meinung, wenn man sich das große Ganze anschaut, geht es in Europa schon in die richtige Richtung. Es ist zwar noch ein weiter Weg, aber das Thema rückt immer mehr in den Fokus. Viele Initiativen und Organisationen versuchen wirklich, etwas voranzubringen. Was mir aber im Gegensatz dazu tatsächlich Angst macht ist, dass es immer noch Länder auf der Welt gibt, in denen es beispielsweise nicht erlaubt ist, homosexuell zu sein. Dort können zwei Männer nicht mal Hand in Hand auf die Straße gehen oder sich küssen. Dafür kannst du dann ins Gefängnis kommen und es gibt sogar Gesetze dagegen. Das ist für mich komplett verrückt, dass es so etwas heutzutage noch immer gibt.

Wie hast Du die Kultur in Hamburg dahingehend bislang wahrgenommen?

Das ist für mich gar nicht so leicht zu sagen, weil ich leider noch nicht viel erleben konnte, seitdem ich hergezogen bin. Die meiste Zeit habe ich aufgrund der Umstände in meiner Wohnung verbracht. Ich habe aber schon das Gefühl, dass Hamburg sehr modern und aufgeschlossen ist. Für mich ist es zudem wichtig, bei einem Verein wie dem FC St. Pauli zu sein, bei dem diese Themen viel Aufmerksamkeit und Platz bekommen. Ich habe das Gefühl, dass hier nicht nur darüber gesprochen wird, sondern tatsächlich versucht wird, etwas zu bewegen. 

"Den trage ich eigentlich schon die ganze Saison", sagt Simon Makienok über seinen Regenbogen-Pullover. Auch im Trainingslager in Herzlake trägt er ihn häufig.

"Den trage ich eigentlich schon die ganze Saison", sagt Simon Makienok über seinen Regenbogen-Pullover. Auch im Trainingslager in Herzlake trägt er ihn häufig.

Du hast Social Media schon kurz angesprochen: Glaubst Du, dass die sozialen Netzwerke die Themen Vielfalt und Toleranz in einer positiven oder in einer negativen Art und Weise beeinflussen?

Social Media ist momentan ein schwieriges Thema. In Dänemark gibt es gerade eine große Diskussion darüber, dass die sozialen Medien auf zwei Weisen genutzt werden. Auf der einen Seite als eine gute Plattform, durch die man seine Sichtweisen und Werte schnell und einfach mit vielen Leuten teilen kann. Auf der anderen Seite ist es aber auch gefährlich, weil es so einfach ist, zuhause hinter seinem Handy oder seinem Computer eine Meinung zu haben. Man kann Dinge sagendie man im echten Leben vielleicht nie in dieser Form sagen würde. Natürlich kann jeder sagen, was er möchte, aber man sollte nicht vergessen, wie leicht man damit jemand anderes berühren oder sogar verletzen kann. Dennoch habe ich das Gefühl, dass Social Media ein großer Teil davon ist, um in Zukunft etwas zu verändern.

Was braucht es denn außerdem, um auf dem Weg zu mehr Vielfalt und Toleranz Fortschritte zu erzielen?

Wenn man mal zehn oder 20 Jahre zurückschaut, denke ich schon, dass wir uns als Gesellschaft insgesamt in die richtige Richtung bewegen und schon weit gekommen sind. Es bleibt aber weiterhin wichtig, gegen Diskriminierung aufzustehen und sich selbst dazu immer weiterzubilden. Wenn man schon viel dazu weißkommt es darauf an, dieses Wissen an andere weiterzugeben, aufzuklären und die Themen einfach anzusprechen.

Man sollte sich also mit diesen Themen auseinandersetzen, auch wenn sie einen vielleicht gar nicht unmittelbar im Alltag betreffen?

Exakt. Manchmal ist es eben nicht genug, kein Rassist oder nicht homo-feindlich zu sein. Stattdessen muss man viel mehr Anti und dagegen sein und klar sagen, dass das so nicht richtig ist. Man muss etwas tun und nicht nur sagen: „Ich bin das nicht und deswegen geht es mich nichts an. Das ist ganz wichtig.

"Manchmal ist es nicht genug, kein Rassist oder nicht homo-feindlich zu sein."

Was bedeutet denn Individualität im Allgemeinen für Dich?

Ich habe ein Tattoo auf meiner Brust, auf dem steht der Satz: „Humanity should be our race and love should be our religion” (auf DeutschMenschlichkeit sollte unsere Rasse sein und Liebe unsere Religion, d. Red.). Damit will ich ausdrücken, dass jeder sein sollte, wer er ist und sich in seinem Körper wohlfühlen sollte. Also, dass die Menschen so, wie sie sich selbst sehen, von anderen akzeptiert werden. Natürlich ist das für mich als privilegierter weißer Mann leicht zu sagen, aber dennoch ist es letztendlich das, was Individualität ausmacht.

Machst Du Dir Gedanken darüber, wie andere über Dich denken oder was sie über Dich sagen?

Nein, nicht wirklich. Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich wurde eigentlich auch noch nie richtig dadurch verletzt und war schon immer sehr selbstbewusst. Gleichzeitig versuche ich aber auch, bodenständig zu bleiben und den Leuten, die mir nahestehen, gut zuzuhören, weil mich deren Meinung interessiert. Also ich bin niemandder sagt, mich interessiert keine Meinung von anderen Menschen, sondern wenn ich wirklich etwas falsch mache und mich jemand darauf hinweist, denke ich darüber nach und versuche, mich weiterzubilden. Es ist also nicht so, dass ich mich für nichts und niemanden interessiere. Dennoch fühle ich mich gut, so wie ich bin, auch wenn das für mich einfach zu sagen ist. Ich würde mir wünschen, dass das jeder Mensch über sich sagen könntebin mir dessen aber bewusst, dass dem leider nicht so ist.

Zusammengefasst machst Du also einfach das, wonach Dir der Sinn steht?

Ich denke der Satz „Respektiere und behandele andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest“ fasst das ganz gut zusammen. Wenn ich darüber nachdenke, dass jemand anderes jemanden schlecht behandelt, ist es doch so, dass er selbst das gegen sich auch nicht wollen würde. Deswegen versuche ich immer, anderen Menschen mit Respekt und Liebe zu begegnen und es eher für mich zu behalten, wenn ich jemanden mal nicht mag. Natürlich gibt es Leute, die denkenich wäre ein schlechter Fußballer, ich wäre dämlich oder was auch immer. Das ist ja auch okay, aber dann können sie es vielleicht für sich behalten. Ich möchte selbst nicht verletzt werden, also versuche ich auch, niemand anderen zu verletzen.

Hat Dir diese Denkweise im Leben schon oft weitergeholfen?

Ja, ich glaube schon, dass es gut ist, so zu denken. Mir ist aber bewusst, dass das nicht jedem Menschen leichtfällt, so eine Einstellung an den Tag zu legen. Das ist kein Schalter, den man einfach nur umlegen muss. Ich kann auch gar nicht sagen, ob ich so geboren wurde oder das etwas ist, was mir meine Familie mitgegeben hat. Ich bin auf jeden Fall glücklich, dass es so gekommen ist und möchte das gerne an andere Menschen weitergeben. Ich möchte ihnen dabei helfen, auch wenn das nicht immer einfach ist. 

Simon Makienok und Sebastian Ohlsson nach dem Derbysieg am Millerntor.

Simon Makienok und Sebastian Ohlsson nach dem Derbysieg am Millerntor.

Kommen wir noch mal zurück zum Fußball: Glaubst Du, dass es in der Fußballwelt immer noch wichtig ist, 'typisch männlich' zu sein, um dort akzeptiert zu werden und sich durchsetzen zu können?

Es ist noch immer ein großes Thema, dass die Fußballwelt weiterhin oft sehr macho und rau istManchmal ist es sogar so, dass Menschen teilweise Unsicherheit und Schwäche fühlen, sie aber nicht vor den anderen zeigen wollen. Das sollte nicht so sein. Ich fühle mich daher gar nicht als typischen Fußballspieler, auch wenn ich vielleicht so aussehe. Das bekomme ich übrigens oft zu hören, wenn ich neue Leute kennenlerne. Die sagen dann: „Du bist ja gar nicht so, wie Du aussiehst“. Für mich war es nie wichtig, vor anderen Menschen Stärke zu beweisen. Ich war schon immer emotional und ich selbst. Wenn ich mal einen schlechten Tag habe, dann ist das für mich okay, auch mal traurig und still zu sein. Wenn ich traurig binist es auch absolut in Ordnung, mal zu weinen. Ich glaube aber nicht, dass die ganze Fußballwelt so denkt.

Also ist im Fußball oft kein Platz für Gefühle?

Ich weiß es nicht. Ich denke, dass es schon Menschen in der Fußballwelt gibt, die ihre Persönlichkeit betreffend unsicher sind, aber das nicht zeigen wollen oder können, weil sie Angst haben, im Fußball nicht zu überleben und daran kaputtzugehen. Das macht mich traurig.

Wie können wir als Verein, die Spieler, die Fans oder die Medien dabei helfen, daran etwas zu ändern?

Schwer zu sagen. Der FC St. Pauli ist auf jeden Fall einer der Vereine – zumindest von denen, bei denen ich gespielt habe – der sich bei diesen Themen am meisten engagiert. Auch weltweit habe ich das Gefühl, dass der FC St. Pauli seine Plattform mit am besten nutzt, um auf diese Dinge aufmerksam zu machen. Ich denke, dass es weiterhin wichtig sein wird, seine Bühne bestmöglich zu nutzen. Das ist schon fast eine Verpflichtung, wenn man so eine Möglichkeit hat, diese auch zu nutzen, um Themen voranzubringen. Man sollte nicht nur einmal im Jahr sagen, dass man gegen etwas ist, sondern wirklich für die eigenen Werte einstehen und diesen Werten Raum geben. Das kann man nie genug machen.

Was wäre mit Blick auf Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung Dein Wunsch für die Zukunft?

Mein größter Wunsch ist es, dass sich jeder und jede frei fühlen kann. Wir sprechen immer darüber, dass wir in einer freien Welt leben, in der jeder Mensch sein kann, wie er ist, aber so ist es faktisch nun mal nicht. Ich wünsche mir, dass alle Menschen, egal welche Hautfarbe, Sexualität oder Ansichten sie vertreten, sein können, wie sie sind und sich in ihren Körpern und Gedanken wohlfühlen. Ich hoffe, dass wir da als Gesellschaft in Zukunft noch besser werden. 

 

(jh)

Fotos: FC St. Pauli

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