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"Der Fußball ist an politische Entwicklungen gekoppelt"

Spricht man über Rassismus im Fußball, denken viele an Neonazis, die rassistische Parolen brüllen, in großer Anzahl in der Kurve stehen und mit Gewalt Einfluss auf andere Fans nehmen. Doch die Zeiten haben sich verändert. Wir sprachen mit dem Journalisten und Autor Ronny Blaschke über Rassismus im Fußball. Im ersten Teil unseres Interviews geht es um die aktuelle Situation im Fußball und die direkten Verbindungen zur gesellschaftlichen Entwicklung.

Hallo Ronny, warum müssen wir im Jahr 2021 noch immer über Rassismus im Fußball sprechen?

Der Fußball ist an politische Entwicklungen gekoppelt. Als vor einigen Jahren viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, hat sich die Lage verschoben. Man sprach damals von einem Rechtsruck. Das hat man sofort im Fußball gespürt. Natürlich gibt es die positiven Seiten des Fußballs, aber genauso gibt es die andere Seite. Das sind rassistische, sexistische oder homophobe Einstellungen, die viele Menschen in den Köpfen haben, die aber beim Fußball vielleicht leichter herausbrechen. Vielleicht an dieser Stelle eine Zahl: Der Verfassungsschutz, natürlich muss man hier vorsichtig sein, geht von 30.000 Rechtsextremen in Deutschland aus. Das klingt im Verhältnis zu 82 Millionen Menschen im Land erst mal nicht nach viel. Es haben aber Millionen Menschen die AFD gewählt. Viele würden sagen, dass sie nicht rassistisch oder rechts sind, dennoch haben sie rechtes Gedankengut in sich. Das trifft dann auch auf den Fußball zu.

Dann trifft die Umschreibung, dass der Fußball das abbildet, was in der Gesellschaft passiert, zu.

Ich würde etwas weiter gehen. Der Fußball ist kein Spiegelbild der Gesellschaft, sonst hätten wir 50 Prozent Frauen in den Stadien und 24 Prozent der Menschen in den Stadien hätte eine Einwanderungsbiografie. Er ist eher ein Vergrößerungsglas, wo sich gewisse Dinge zuspitzen. Leute, die sich abfällig, rassistisch, menschenfeindlich äußern, das sind nicht immer Leute, die ein rassistisches Weltbild haben. Sie geben in manchen Fällen Ängste, Sorgen und Frustration weiter. Während Corona haben viele Angst um ihre Existenz. Da kann es passieren, dass man das an Menschen weitergibt, die einen vielleicht anders oder fremd erscheinen. Da müssen wir aufpassen, das macht es nicht ungefährlicher. Es kann durchaus passieren, dass sich der Rassismus in den kommenden Jahren noch einmal verändert.

Das ist aber nicht nur ein deutsches Problem.

Nein, das ist in ganz Europa so. Wir haben das 2018 bei der WM in Russland gesehen und bei der EM in Polen und der Ukraine. Der Fußball ist dort ist kein Familien-Event. Gerade in Teilen von Osteuropa steht der Fußball in enger Verbindung mit dem Kampfsport. Dort treffen sich Rechtsextreme zu Kampfsportevents. Das ist dort ein lukratives Geschäftsfeld. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass es in Deutschland nicht auf die sogenannten extremen Ränder reduziert ist. Man muss immer wieder betonten, dass es in der Mitte der Gesellschaft, was auch immer das sein mag, eine Verankerung gibt. Viele Leute sagen: 'Ja, es gibt zu viele Ausländer in Deutschland' oder 'die Weißen sind zurecht führend in der Welt'. Natürlich artikuliert sich das dann auch im Fußball. Dort geht es sehr emotional zu, es sind überdurchschnittlich viele Männer in gefühlter Anonymität in den Stadien.

"Während Corona haben viele Angst um ihre Existenz. Da kann es passieren, dass man das an Menschen weitergibt, die einen vielleicht anders oder fremd erscheinen."

 

Das passt ein wenig zu dem Eindruck, den man in den vergangenen Jahren gewinnen konnte, dass rassistische Ausfälle oftmals auch von den Sitzplätzen gekommen sind.

Ja, ich würde das nicht nur auf das Stadion beziehen. Menschen vernetzen sich in Kneipen, auf der Anreise oder in Internetforen. Das Ganze ist subtiler geworden, die Stadien sind moderner, sicherer durch Kameras, es gibt Fanprojekte, wir haben eine differenziertere Medienberichterstattung als vor 20 Jahren. Das führt dazu, dass Rassismus nicht mehr so massiv durch beispielsweise größere Gruppen sichtbar ist. Vereinzelt jedoch schon. Selbst wenn es nicht so wäre und man die einzelnen Sprüche nicht hören würde. In Recherchen wird immer wieder klar, dass viele Fans rassistische Gesänge im Kopf haben. Sie kennen das Ausschwitz-Lied, es muss nicht ausgesprochen werden und ist trotzdem präsent. Wir müssen dafür sorgen, dass die künftige Fan-Generation dieses Lied oder andere rassistische Sprüche nicht mehr kennt.

Wie ist die aktuelle Situation im deutschen Fußball?

Ich würde davon ausgehen, dass es keine offensichtlich rassistischen Chöre mehr gibt. Aber wir sollten auf das schauen, was uns wehtut. Wir haben fast keine schwarzen Trainer. Wir haben keine schwarzen Schiedsrichter. In den Redaktionen der Sportmedien sehen die Leute so aus wie ich. Da habe ich qua Geburt und wegen meines Namens einen Vorteil gegenüber Menschen, die schwarz sind oder einen türkisch klingenden Namen haben. Dessen bin ich mir in den vergangenen Jahren mehr bewusst geworden. Da muss es also auch direkte oder indirekte Ausschlussmechanismen geben und ist dann struktureller Rassismus. Darauf sollten wir mehr schauen. Natürlich gibt es aber auch weiterhin diese Fälle, dass Spieler davon berichten, rassistisch beleidigt worden zu sein. Das muss man auch weiterhin thematisieren. Es ist aber nicht mehr so wie vor 20 oder 30 Jahren.

Geht dann Dein Appell an alle handelnden Personen im Fußball, sich Gedanken zu machen, wie man das Thema strukturell angehen kann?

Absolut. Wir müssen uns da alle hinterfragen. Die Vereine und die Medien. Man sollte das Thema breit aufstellen und schauen, wie man Menschen anwirbt und rekrutiert. Der Fußball an sich reformiert sich leider nur sehr schwer. Es ist ein geschlossenes System und man rekrutiert die Leute, die einem ähneln. Da sollten wir uns alle Gedanken machen. Die Neuen deutschen Medienmacher haben vor kurzer Zeit einen Diversity-Guide herausgebracht. Sie wünschen sich eine Diversitätsquote, weil nur Medien über eine Gesellschaft berichten können, die sie selbst auch repräsentieren. Das ist noch nicht der Fall. Hier sollten wir alle mehr Energie darauf verwenden. Das Thema lässt sich nicht so leicht skandalisieren wie ein rassistischer Vorfall.

Rassistische Skandale gab es im deutschen Fußball früher oft. Kannst Du ein Bild skizzieren, woher der Fußball kommt und wie der Verlauf der Zeit und der Umstände war?

Ich selbst bin in Rostock aufgewachsen. Anfang und Mitte der 90er-Jahre war der offene Rassismus, Affenlaute gegen schwarze Spieler oder Bananenwürfe auf das Spielfeld normal. Wie auch in vielen anderen Städten der sogenannten neuen Bundesländer. Es gab auch schon in der DDR Neonazis, das wurde jedoch kleingehalten. In den Jahren nach dem Mauerfall musste sich der Staat neu orientieren und Neonazis hatten es oftmals sehr leicht. Dann kam beruflicher und sozialer Frust hinzu. Auch das hat man an Menschen ausgelassen. Eine Zivilgesellschaft musste erst noch geformt werden. Das hat lange nachgewirkt. Ich möchte das Thema auf keinen Fall auf den Osten fokussieren, damit macht man es sich zu leicht. Man darf es nicht geografisch verorten. Auch in der alten Bundesrepublik gab es offenen Rassismus im Fußball. Neonazis wie Michael Kühn wollten im Stadion Fans für rechte Parteien rekrutieren. Auch die NPD hat das versucht. Es gab im Umfeld von einigen Klubs das sogenannte 'Ausländerklatschen'.

Wie erfolgreich waren die Agitationsversuche rechter Politiker?

Das war eher selten erfolgreich. Fußballfans, selbst diffus rechte Fans wollten nicht offen politisiert werden. Das war dann etwas plump. Wenn die Neonazis schlau waren, kamen sie nicht mit Werbebroschüren, Regenschirmen und Fahnen ans Stadion. Sie haben viel mehr diese Stimmung genutzt. Den Männlichkeitskult, das Gesetz des Stärkeren, die Gewaltverherrlichung und da waren dann viele mit dabei. Auch die damals bekannten Musikbands. Für viele waren die Hooligans der 90er-Jahre ein Erlebnis und ein Adrenalinschub. Sie sagten dann auch oft, sie seien gar nicht rechts, ohne es gemerkt zu haben. Wenn man das Gesetz des Stärkeren pflegt, Gewalt als wichtig anerkennt, Menschen ausgrenzt, Männlichkeit betont, dann sorgt man dafür, dass sich andere nicht wohlfühlen. Deswegen war das ein Nährboden für Ausgrenzung und Rassismus.

Irgendwann hat der Fußball gemerkt, dass sich etwas ändern muss. Was waren hier die ersten Ansätze?

Gemessen an der heutigen Zeit wirkt das sehr amateurhaft. Eine der ersten großen Aktionen beim DFB war 'Mein Freund ist Ausländer'. Das war in einer Zeit, in der Funktionäre wie Gerhardt Meyer Vorfelder beim DFB eher erzkonservative und nationalistische Töne angeschlagen haben. Es gab unter Helmut Kohl eine sehr harte Einwanderungspolitik. Es gab mit Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Hoyerswerda mörderischer Anschläge auf Menschen mit Einwandererbiografie. Rassismus wurde damals noch nicht so skandalisiert, wie es heute der Fall gewesen wäre. Die Fanprojekt und sozialpädagogischen Einrichtungen hatten große Schwierigkeiten. Sie wurden als Schmarotzer angesehen, die durch den Fußball an Jobs gelangen wollten. Es hat bis in das neue Jahrtausend gedauert und dauert zum Teil immer noch an, bis Sozialpädagogik eine stabile Akzeptanz im Fußball gefunden hat.

Die Aktion 'Mein Freund ist Ausländer' war eine der ersten Aktionen gegen Rassismus im Fußball.

Die Aktion 'Mein Freund ist Ausländer' war eine der ersten Aktionen gegen Rassismus im Fußball.

Was haben Verbände und Vereine konkret gemacht, um Rassismus zu bekämpfen?

Der DFB hat in den 90er-Jahren relativ wenig gemacht. Es gab keine Abteilung für Gesellschaftspolitik. Es gab aber auch keinen öffentlichen Druck durch Medien oder Fan-Netzwerke. Ich würde gerne bei den Fanprojekten bleiben. Natürlich waren es externe Player, aber sie haben den Fußball kontrolliert. Sie haben das Lockmittel des Fußballs genutzt, um junge Menschen zu erreichen für Jugendhilfe, es wurde vom Fußball und vom Staat finanziert. Dort, wo Fanprojekte anfangen durften, wie in Bremen, Dortmund und Leverkusen. Dort ist der Rassismus auch schnell spürbar zurückgegangen. Andere Standorte, wo Fanprojekte erst nach Streit und Grabenkämpfen anfangen durften, hat es länger gedauert. Da wurde viel Zeit vertan. Heute noch haben Fanprojekte Probleme wie Unterfinanzierung und Fluktuation. Auch die öffentliche Erwartungshaltung ist nicht einfach. Wenn es irgendwo 'geknallt' hat, fragt man bei den Fanprojekten, warum es nicht läuft. Prävention hat oftmals eine schwierigere Lobby als andere. Man kann einen nicht gezeigten Hitlergruß schwer als Erfolg verbuchen. Deswegen braucht es stabile Beziehungen und eine langfristige Arbeit. Das haben die Vereine und Verbände sehr spät eingesehen.

Wie passt das zusammen, wenn man weiß, dass Fanprojekte langfristig gewirkt und Erfolge erzielt haben und gleichzeitig heute noch teilweise Probleme mit der Finanzierung haben?

Es kann sein, dass die Fanprojekte Probleme haben, das zu äußern. Die mediale Berichterstattung ist eher so, dass bei solchen Themen die Innenpolitiker oder die Polizei zu Wort kommt. Die Arbeit von Sozialarbeitern passiert im Verborgenen und im Hintergrund. Es dauert sehr lange, bis man Beziehungen zu den Fans aufbaut. Es gibt aber mehr als 60 Fanprojekte und so gut wie heute war die Lage noch nie. Ganz Europa beneidet Deutschland um dieses Netzwerk. Deswegen würde ich da eher positiv als negativ sein.

"Ich habe bei Recherchen oft beobachtet, dass 18-Jährige im Fußball lernen, gegen Antisemitismus oder Homophobie zu sein."

"Ich habe bei Recherchen oft beobachtet, dass 18-Jährige im Fußball lernen, gegen Antisemitismus oder Homophobie zu sein."

Welche Rolle spielen Fans und insbesondere Ultras, wenn es um Politik und Politisierung im Stadion geht?

Das unterscheidet Deutschland von anderen Ländern. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der nicht politisch war und habe mir das im Fußball erschlossen, weil ich da spannende Leute kennengelernt habe. Ich habe bei Recherchen oft beobachtet, dass 18-Jährige im Fußball lernen, gegen Antisemitismus oder Homophobie zu sein. Dann wurden sie von zum Beispiel von Neonazis angefeindet und in der Folge nicht von den Vereinen ausreichend geschützt. Die Folge war, dass diese Jugendlichen dem Fußball den Rücken gekehrt haben. Das ist ein kolossaler Fehler des Fußballs. Das darf sich nicht wiederholen. Das gibt es leider auch. Da muss der Fußball seine positive Kraft nutzen und diese Fans schützen.

Wie gefährlich ist es, wenn sich Fangruppen als unpolitisch bezeichnen?

Es gibt einige, die sich als unpolitisch bezeichnen und die damit gar nicht wissen, dass sie den falschen Leuten die Tür öffnen, weil es eine Schutzvokabel ist. Alles ist politisch und natürlich auch der Fußball. Zu sagen, man sei unpolitisch, ist eine sehr politische Aussage. Wir haben früher davon gesprochen, dass der Fußball unterwandert oder infiltriert wird. Ist das so? Gerade Leute, die ein diffuses rechtes Weltbild haben, die in der Kurve hören, dass man noch homophob sein kann und in der Kneipe mitbekommen, dass man noch antisemitisch sein kann, die können ihre Muster da noch vertiefen und es noch weiter nach außen bringen.

Schaut man in andere Publikumssportarten, scheint sich Rassismus, abgesehen von ein paar zu verurteilenden Ausnahmen, nicht wie ein roter Faden durch die Geschichte zu ziehen. Was macht den Fußball für Rassismus so 'anfällig'?

Fußball ist mit großem Abstand der beliebteste Sport. Er hat auch eine ganz andere Männlichkeitskultur und Tradition von organisierter Fanszene. Was wir gerade schon besprochen haben, die Hooligans und das sogenannte 'Ausländerklatschen' gab es in keiner anderen Sportart. Der Fußball ist finanziell stärker, es gibt ein höheres mediales Interesse und der Abgrenzungsmechanismus ist deutlicher. Es gibt auch in anderen Sportarten Rassismus. Wahrscheinlich sind aber auch die sozialen Milieus im Fußball andere als in anderen Sportarten.

Kann es auch an der Art und Weise, wie wir das Spiel Fußball erlernen, begreifen und wahrnehmen liegen? Nämlich als hartes Spiel, in dem es darum geht, die andere Stadt, den Gegner, die anderen Farben mit allen Mitteln zu besiegen und das mit einer hohen emotionalen Aufwertung.

Das Setting ist in meinen Augen sehr wichtig. Es gibt zwei Teams, die spielen gegeneinander. Sie wollen sich besiegen, abgrenzen, kränken und provozieren und das passiert auch auf dem Rücken von gesellschaftlichen Gruppierungen, die oftmals gar nicht im Stadion sichtbar sind. Beispielsweise gilt das Wort 'Jude' für viele als Schimpfwort oder Ablehnung. Das Gleiche mit homophoben Sprüchen. Antiziganismus, also die Ablehnung von Sinti und Roma, geht in dieser Debatte oft verloren. Der Begriff 'Zigeuner', man sollte ihn eigentlich nicht reproduzieren, ist eine Fremdbezeichnung, die sehr historisch und gleichzeitig rassistisch aufgeladen ist. Es gab Partys und Vereinsfeiern, wo Fans in guter Absicht dieses Wort besungen haben. Dabei wissen viele nicht, dass 500.000 Sinti und Roma von den Nazis getötet wurden. Das ist oft nicht bekannt. Das Setting des Fußballs, wir gegen die anderen und der Stärkere gewinnt, kann so was begünstigen. Oftmals sind das Menschen, die in der Emotionalität etwas von sich geben, was sie am nächsten Morgen bereuen.

 

(lf)

Fotos: Sebastian Wells / Witters

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